Corona und die Frage des Verzeihens

Gesundheitsminister Lauterbach Portrait

Zu Beginn der Corona-Pandemie erklärte der damalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn: „Wir werden einander wahrscheinlich viel verzeihen müssen in ein paar Monaten“. Der im April 2020 geäußerte Satz steht auch heute wieder im Mittelpunkt der Diskussion, denn nun fordern viele der Verantwortlichen von damals, darunter auch Jens Spahn selbst, von den betroffenen Bürgern Verständnis für ihre damaligen Aktionen ein.

Auch wenn die Maßnahmen sich im Nachhinein als überzogen und nicht gerechtfertigt herausgestellt hätten, sollten die Betroffenen die Bereitschaft zeigen, „erbittlich zu sein, zuzuhören, nicht zu verhärten“, forderte Jens Spahn unlängst in einem Gespräch mit dem Sender RTL.

Diesem Anliegen könnte fraglos zugestimmt werden, wären die während der Pandemie getroffenen Entscheidungen allein von den unveränderlichen Wesensmerkmalen einer Entscheidung bedingt gewesen. Aus der Entscheidungstheorie wissen wir, dass Entscheidungen immer unter Unsicherheit und unter Zeitdruck getroffen werden.

Während der Entscheider seine Wahl trifft, kennt er nur einen Teil der Fakten und schon gar nicht alle zukünftigen Auswirkungen seiner Wahl. Gleichzeitig muss er sich hier und jetzt entscheiden und kann nicht zu einem späteren Zeitpunkt die heute nötige Entscheidung rückwirkend treffen. Dabei ist die Entscheidung, sich jetzt nicht zu entscheiden, auch eine Entscheidung.

Die Entscheidungen der Corona-Zeit haben eine andere Qualität

Fehler, die in dieser Hinsicht gemacht werden, sollten jedem Menschen verziehen werden. Die Fehler der Corona-Zeit haben allerdings eine andere Qualität, denn es wurde nicht nur unter Zeitdruck und mit einem beschränkten Wissen eine Entscheidung getroffen. Das wäre ja noch zu akzeptieren.

Viel schwerer wirkt, dass ganz bewusst und geradezu vorsätzlich bestimmte Fakten und Experten nicht zur Kenntnis genommen wurden. Das hat mit einer rationalen Entscheidungsfindung – auch unter Zeitdruck – nichts mehr zu tun, sondern ist reine Ideologie. Also die Annahme, dass eine bestimmte Personengruppe die Weisheit mit Löffeln gefressen habe, während andere anerkannte Experten völlig ahnungslos seien.

Fehler, lieber Herr Spahn und lieber Herr Lauterbach, die aufgrund von Zeitdruck und fehlenden Faktenwissen gemacht wurden, werden ihnen die Deutschen in ihrer Mehrheit gewiss verzeihen. Aber unsere Politiker sollten nicht erwarten, dass die Bürger ihre eigene Opferung auf irgendeinem ideologischen Altar widerspruchslos hinnehmen werden und diese dann auch noch anschließend verzeihen werden.

Dabei ist es vollkommen egal, ob der Altar, auf dem die Freiheit oder die wirtschaftliche Existenz der Bürger geopfert wird, mit den Worten Corona, Gaskrise, unkontrollierte Einwanderung oder Abschaltung von Atomkraftwerken überschrieben ist.