Es wird eng für die Europäische Zentralbank: Die Gewerkschaften fordern reale Lohnsteigerungen

Wirklich überraschen kann diese Entwicklung nicht, denn angesichts der anhaltend hohen Inflationsraten war sie nur eine Frage der Zeit. Zum Ende der Vorwoche hat sich Frank Werneke für die anstehenden Tarifverhandlungen in Position gebracht. Er ist Vorsitzender der Gewerkschaft Verdi.

Verdi fordert für die 2022 anstehenden Tarifrunden bei den Krankenkassen, den Banken und der Versicherungswirtschaft, der Telekom und der Druckindustrie eine Anhebung der Löhne und Gehälter zwischen fünf und sechs Prozent fordern. Hinzu kommen Sonderleistungen.

Das Ziel ist, eine echte Steigerung der Einkommen zu erreichen. Es soll somit nicht nur der Kaufkraftverlust durch die anhaltend hohe Inflation ausgeglichen werden. In anderen Branchen werden die dortigen Gewerkschaften ähnliche Forderungen erheben. Verdi wird kein Einzelfall bleiben, sondern eher eine Vorbildfunktion haben.

Wiederholen sich die 1970er Jahre?

Auch die Europäische Zentralbank dürfte die kommenden Tarifverhandlungen deshalb in den kommenden Monaten mit gespannter Aufmerksamkeit verfolgen. Sie hat allen  Grund, diese zu fürchten, denn sie könnte, ohne selbst mit am Verhandlungstisch zu sitzen, die große Verliererin sein.

Schon die Eingangsforderungen von Verdi lassen aus Sicht der EZB nicht viel Gutes erahnen, denn die Gewerkschaft rechnet damit, dass die Inflation auch weiterhin bei über drei Prozent liegen wird und fordert deshalb einen realen Lohnausgleich für ihre 1,9 Millionen Mitglieder.

Eine einfache Überschlagsrechnung zeigt, wohin die Reise gehen könnte: Verdi fordert sechs Prozent, die Arbeitgeber bieten gar nichts und man einigt sich in der Mitte bei drei Prozent. Schon dieses unrealistische Szenario würde bedeuten, dass die Inflation im nächsten Jahr kaum wieder auf die von der EZB erhofften zwei Prozent zurückfallen wird.

Realistischer ist jedoch die Annahme: Verdi fordert sechs Prozent, die Arbeitgeber bieten zwei Prozent an und man einigt sich in der Mitte bei vier Prozent. Was das für das Inflationsziel der EZB bedeutet, dürfte allen Beteiligten klar sein.