Die deutsche Politik und ihr merkwürdiges Demokratieverständnis

Mit seinem Urteil zu den nicht verfassungskonformen Schattenhaushalten des Bundes hat das Bundesverfassungsgericht der deutschen Politik einen gehörigen Strich durch die Rechnung gemacht. Die sah bislang so aus, dass man vordergründig zwar den schönen Schein, also die Schuldenbremse, gewahrt hat, aber hinter der Fassade so agiert hat, wie es gerade angemessen erschien.

Mit dieser Praxis müsste nun eigentlich Schluss sein. Ein und für alle Male. Doch wer so denkt und darauf hofft, dass die deutsche Politik den krachenden Warnschuss aus Karlsruhe gehört hat, unterschätzt vermutlich die Beharrlichkeit von Kräften, die schon seit einiger Zeit glauben, über den Gesetzen zu stehen.

Während der Corona-Pandemie haben sich Politiker aller Parteien Kompetenzen angemaßt, die sie nicht hatten und gemäß der Verfassung auch niemals haben werden. Ihr Glück war, dass die meisten Deutschen durch den täglichen Propagandakrieg um das vermeintlich tödliche Virus so verängstigt waren, dass sie sich klaglos in ihr Schicksal gefügt haben.

Verkommt die Verfassung zu einem Fetzen Papier?

Wer sich nicht fügen wollte, der bekam allerlei Druck zu spüren und wenn das nicht half, griff die Polizei ein. Für mich stellte sich das gewandelte Demokratieverständnis von Politik und ihren behördlichen Helfern in keiner anderen Szene so treffend dar, wie in jener Begebenheit aus dem Jahr 2020 in der ein Mann auf dem Platz vor der Semperoper in Dresden zunächst laut und mit reichlich Abstand zu allen umstehenden Personen einzelne Artikel aus der sächsischen Verfassung vorlas. Darunter beispielsweise der Artikel zur Unverletzlichkeit der Wohnung.

Als er seinen Vortrag beendet hatte, auf sein Fahrrad stieg und wegfahren wollte, wurde er von Polizisten, die ihn zuvor weder angesprochen noch belästigt hatten, plötzlich vom Fahrrad gerissen und unsanft zu Boden geworfen. Was hat dieses Bild mit der heutigen Situation zu tun? Leider sehr viel.

Denn als Reaktion auf das Urteil aus Karlsruhe, das die deutsche Politik eigentlich zu einer transparenten Haushaltsführung und damit zu einer gewissen Sparsamkeit aufruft, weil die Schuldenbremse eine ungehemmte Kreditaufnahme untersagt, versucht die deutsche Politik gerade, die steigenden Coronazahlen wieder in den Vordergrund zu rücken und mit ihnen jenen nationalen Notstand zu begründen, der es ihr erlauben würde, nach Belieben neue Schulden aufzunehmen.

Anschließend ist man dann auch noch so frei, die eigene Politik als „wertebasiert“ darzustellen. Wohl wissend wird aber nicht gesagt, um welche „Werte“ es sich dabei handeln soll. Die Treue zur Verfassung und zu Recht und Ordnung ist damit vermutlich nicht gemeint.