Im kommenden Jahr ist alles möglich

Turbokapitalismus

Hallo allerseits! Hinter uns liegt ein „Black Friday“ der besonderen Art. Könnte man die Rabattschlacht im Einzelhandel auch auf die Kapitalanlagen übertragen, brauchten die Anleger nicht in Panik zu geraten. Tatsächlich ist die Welt fast über Nacht viel komplizierter geworden. Empfindliche Kursverluste an den Finanzmärkten (insbesondere bei den Aktien) spiegeln das allgemeine Erschrecken über die dramatische Zuspitzung der Pandemie wider. Das kommt spät, sehr spät. Entstanden ist eine Gemengelage, die alle aktuellen Vorschauen auf die Wirtschafts- und Börsentrends im kommenden Jahr Frage stellt.

Und das macht den Unterschied seit Sommer aus, wenn es um Konjunktur, Inflation, Geldpolitik und Corona geht: Börsianer haben gerne die Nachrichtenlage dieses Vierecks betrachtet – nur jeden Punkt jeweils für sich genommen. Das geht jetzt nicht mehr. Mit Blick auf das diesmal (sicher schwierig werdende) Winterhalbjahr bekommen die Problemfelder zusammengenommen ein besonderes Gewicht. Kann Deutschland einen weiteren Anstieg der Inflationsraten auf 5 bis 6 Prozent locker wegstecken? Behalten die Experten (einschließlich der EZB) Recht mit der These, dass sich die Inflationsraten anschließend schon wieder normalisieren? Ich bin schon gespannt auf die nächsten Tage, wenn der vorläufige Verbraucherpreisanstieg für November (= in aller Regel die endgültige Zahl) veröffentlicht wird.

Spannung vor den nächsten Inflationszahlen

In der Geldpolitik geht der Kurs von Fed und EZB inzwischen auseinander. Zumindest das Tempo der Maßnahmen wird unterschiedlich. Und die konjunkturellen Frühindikatoren einschließlich der Prognosen fürs kommende Jahr waren zuletzt gemischt, wenn auch unterm Strich nicht übel. Das Thema Inflation steht seit Monaten immer im Mittelpunkt, denn beiderseits des Atlantiks sind die Teuerungsraten deutlich stärker gestiegen als allgemein erwartet worden war.

Europas oberste Währungshüterin Christine Lagarde wirbt angesichts steigender Inflationsraten wiederholt um Vertrauen in den Kurs der Europäischen Zentralbank. Die aktuell vergleichsweise hohen Teuerungsraten machten vielen Menschen Sorgen, sagte die EZB-Präsidentin im Gespräch mit der „FAZ Sonntagszeitung“. Die EZB erwartet aber, dass dieser Anstieg der Inflation nicht von Dauer sein wird. Im nächsten Jahr soll sich das wieder beruhigen. „Schon von Januar an erwarten wir, dass die Inflationsraten beginnen zu sinken“, sagte Lagarde in dem Interview.

Andere Fachleute sehen das zum Teil anders, bezweifeln die These von einer baldigen Normalisierung. Die Teuerungsraten klettern seit Monaten. Der harmonisierte Verbraucherpreisindex HVPI, den die EZB für ihre Geldpolitik heranzieht, lag in Deutschland im Oktober um 4,6 Prozent über dem Niveau des Vorjahresmonats. Die Bundesbank hält es für möglich, dass der HVPI im November auf knapp 6 Prozent anzieht. Auch im Euroraum lag die Inflationsrate mit 4,1 Prozent im Oktober deutlich über dem von der EZB mittelfristig angestrebten Ziel von 2 Prozent. Die EZB erklärt den sprunghaften Anstieg vor allem mit Sonderfaktoren, die sich im nächsten Jahr abschwächen sollten.

Konjunktur 2022 wird positiv gesehen

Auch unabhängig von der Beurteilung der Geldwertentwicklung und der damit verbundenen Zentralbankpolitik wird die Konjunktur mit Blick auf das kommende Jahr überwiegend positiv gesehen – bisher. Die traditionelle Prognosewelle kurz vor dem Jahreswechsel hat mittlerweile begonnen. Und die klare Mehrheit (wenigstens die ist klar) der vorliegenden Analysen und Vorhersagen trägt ein positives Vorzeichen. Denn man geht davon aus, dass die Unternehmen im Verlauf von 2022 von einer erneut zunehmenden Wachstumsdynamik profitieren und die Gewinne steigern werden. So geht beispielsweise das Research der Frankfurter Helaba in seinem kürzlich veröffentlichten Szenario davon aus, dass sich der Dax im neuen Jahr in einer Handelsspanne von 15.000 bis 16.500 Punkten bewegen wird. Andere Häuser sind da noch optimistischer.

Dax-Anstieg bis auf 18.000 Punkte erwartet

Trotz stark steigender Corona-Infektionszahlen und massiver Lieferkettenprobleme blickt das DZ Bank Research zuversichtlich auf das kommende Jahr. Die Analysten erwarten ab dem zweiten Quartal 2022 eine kräftige wirtschaftliche Erholung, die von Nachholeffekten getrieben wird. Eine zunehmende Impfquote ermöglicht eine Normalisierung des Alltags- und Wirtschaftslebens. Für das weltweite Wirtschaftswachstum prognostizieren die Experten 4,4 Prozent, in Deutschland legt das BIP um 4,8 Prozent zu. Die weiterhin niedrigen Zinsen und die aufgestauten Produktionsaufträge treiben die großen Aktienindizes zu Rekorden. Für den Dax sagt die DZ zum Ende des kommenden Jahres 18.000 Punkte voraus. Die Inflation lässt im Verlauf des Jahres nach.

Schön wär’s ja. Allein mir fehlt noch der Glaube. Sie, geschätzte Anleger, sollten jetzt kritisch beobachten, wie die Märkte die Aussichten der vier Eckpunkte Konjunktur, Inflation, Geldpolitik und Corona einschätzen und auf die weiteren Vorhersagen reagieren. 2022 ist alles möglich.