Der Schritt war einerseits überfällig und hat andererseits doch viele irritiert, denn als sich die europäischen Länder kurz vor Weihnachten auf eine Finanzierung für die Ukraine verständigten, gewährten sie damit nicht nur dieser die Möglichkeit, sich weiter gegen die russischen Invasionstruppen zu verteidigen, sondern zerstörten gleichzeitig auch ein Bild von Europa, das über Jahre hinweg gewachsen war.
Dieses Bild lässt sich auf die Floskel verkürzen, dass in Europa zwar viel geredet, die wirklich wichtigen Entscheidungen aber in Washington getroffen werden. So war es in der Tat in der Vergangenheit sehr oft. Europas Staats- und Regierungschefs diskutierten zwar lebhaft, konnten sich aber nie auf eine andere Lösung verständigen, als die, die von den Vereinigten Staaten vorgegeben wurde.
Der bildliche Ausdruck dieser Floskel waren die Friedensverhandlungen in diesem Jahr. Es ging in diesen zwar um die Zukunft der Ukraine und damit auch mittelbar um die Zukunft Europas. Doch die Europäer waren bei den Verhandlungen meist außen vor. Auch die Ukraine wurde zu den Gesprächen eher widerwillig eingeladen, weil es nicht anders ging. Viel lieber hätten sich Moskau und Washington jedoch ohne die Ukrainer auf eine ihnen genehme „Friedenslösung“ verständigt.
Mehr geschoben als gewollt, aber die Richtung stimmt
Man muss fairer Weise eingestehen, dass sich Europa nicht freiwillig in diese neue Rolle hineingeschoben hat. Es war die Entscheidung von US-Präsident Donald Trump, sich aus dem Krieg in der Ukraine zurückzuziehen und seine Finanzierung anderen zu überlassen, die Europa letztlich zu mehr außenpolitischer Eigenständigkeit motiviert hat. In diesem Jahr stand der alte Kontinent daher vor der schwierigen Frage, entweder die Zügel politisch und finanziell selbst in die Hand zu nehmen oder aber in der Bedeutungslosigkeit zu versinken.
Man mag die getroffene Entscheidung, die Ukraine mit 90 Milliarden Euro auszustatten, gut oder schlecht finden. Nicht zu bestreiten ist jedoch, dass Europa mit dieser Entscheidung sich als einer der großen politischen Player etabliert hat. Man konnte diese Veränderung bereits im Dezember beobachten. Denn entscheidend waren schon zu dieser Zeit nicht die auf ein Diktat hinauslaufenden „Friedensverhandlungen“ mit amerikanischer, russischer und ukrainischer Beteiligung, sondern die Finanzierungsverhandlungen innerhalb der EU.
Die Ukraine wurde finanziell in die Lage versetzt, zwei weitere Kriegsjahre durchzustehen. Damit haben die Europäer das Spiel entscheidend verändert, denn der Krieg in der Ukraine wird von beiden Seiten mittlerweile als ein Abnutzungskrieg geführt. Ihn gewinnt die Seite, die wirtschaftlich, finanziell und militärisch länger durchhält. Atommacht, Truppenstärke und auf dem Schlachtfeld gewonnene Quadratkilometer hin oder her.
Europa meldet sich eindrucksvoll auf der politischen Bühne zurück
Bislang gingen sowohl Russland als auch die USA davon aus, dass die kleinere Ukraine als erste erschöpft sein würde. Russland hat den Krieg in den letzten Monaten unter genau dieser Prämisse geführt, denn es ging davon aus, dass, was immer auch an der Front passiert, die Ukraine zuerst zusammenbrechen werde. Diese Gewissheit besteht nun nicht mehr. Das macht die harschen Reaktionen aus Moskau verständlich, denn wenn Russland selbst nur noch ein halbes Jahr durchhält, gewinnt die Ukraine.
Aber auch Donald Trump ist alles andere als begeistert, denn schließlich haben ihm ausgerechnet die Palaverpolitiker aus dem verbündeten Europa den erhofften Deal mit Wladimir Putin zerstört. Irritiert dürfte man auch in China sein, denn auch dort hat man die EU bislang nur als ein Anhängsel der Vereinigten Staaten gesehen. Auch hier wird man sich in Zukunft auf eine andere politische Konstellation einstellen müssen, sollten die Europäer Freude am eingeschlagenen Weg empfinden und diesen in Zukunft fortsetzen.