Den Begriff der doppelten Verantwortungslosigkeit hat Wilhelm Röpke (1899-1966) geprägt. Mit ihm diagnostizierte er ein Phänomen, das sich derzeit sehr gut auch in Deutschland beobachten lässt. Es ist ein Teil des Problems, das viele westliche Demokratien trifft und das somit keineswegs für Deutschland allein gilt.
In einer echten Demokratie sind die Wahlen geheim. Niemand weiß, für welche Partei oder für welchen Kandidaten der einzelne Wähler votiert hat. Die Gewählten, egal welcher Partei sie angehören, berufen sich nach der Wahl darauf, dass ihnen ihr Mandat von der Mehrheit der Wähler erteilt worden ist. Sie beschwören ihre lauteren Absichten und rechtfertigen ihre konkreten Schritte mit dem Willen der Mehrheit.
Wenn nun etwas schiefgeht und die Dinge sich anders entwickeln als geplant oder gehofft, neigt jede der beiden Gruppen dazu, sich hinter der anderen zu verstecken. Nur die wenigsten Wähler geben an, was oder wen sie gewählt haben. Sie entledigen sich ihres Teils der Verantwortung dadurch, dass sie in der anonymen Masse verbleiben und diese nicht verlassen.
Mehr Selbstverantwortung als Schlüssel zu einer besseren Welt
Vielleicht zeigen sie auf subjektiver Ebene ein klein wenig Einsicht und Reue. Etwa dann, wenn sie bei der nächsten Wahl enttäuscht von den Leistungen der einst gewählten Politiker nun eine andere Partei oder einen anderen Kandidaten wählen. Viele Wähler agieren allerdings nicht als klassische Wechselwähler, sondern bleiben einer Partei über Jahrzehnte hinweg treu.
Während sich die Wähler durch das Verharren in der Anonymität ihrer Verantwortung entziehen, berufen sich die gewählten Politiker gerne auf jenen ominösen Wählerwillen, den niemand klar benennen kann, der aber für alle sichtbar vermeintlich in den Wahlergebnissen zum Ausdruck kommt.
Wird dieses Spiel nur lange und intensiv genug gespielt, entsteht ein System, in den niemand mehr bereit ist, Verantwortung für seine Entscheidungen zu übernehmen. Das führt allmählich zu einem gelähmten System. Anstatt selbst Verantwortung zu übernehmen, hoffen die Wähler auf einen wie auch immer geratenen „Retter“, der das Land aus den selbstgeschaffenen Problemen führen soll.
Keiner fragt allerdings danach, wie ein solcher Retter, der selbst ehrenwert ist und bereit ist, Verantwortung für die eigenen Entscheidungen zu übernehmen, überhaupt bis an die Spitze gelangen soll, wenn er in einem System agiert, das auf allen Ebenen von einer doppelten Verantwortungslosigkeit gekennzeichnet ist. Denn auch innerhalb der Parteien laufen die Wahlentscheidungen demokratisch und damit anonym ab.
Ändern wird sich das System erst, wenn auf allen Ebenen wieder mehr Verantwortung übernommen wird. Wenn der eigene Verstand dazu benutzt wird, das gegebene Problem und die angebotene Lösung kritisch zu analysieren und wenn anschließend für diese Analyse auch die persönliche Verantwortung übernommen wird. – Vor allem dann, wenn sie sich als falsch herausstellen sollte, denn Irren ist bekanntlich menschlich.