Werterhalt bleibt wichtiger als Wertsteigerung

Worauf kommt es Ihnen an, geschätzte Anleger? Geldwertstabilität und Vermögenszuwachs sind Konkurrenten. Viele Sparer sind sich nicht bewusst, dass die unterschiedlichen Motive mitentscheidend für ihre Strategie sein sollten – was hat für mich Priorität? Nach meinen langjährigen Beobachtungen fehlt es nicht selten auch an Ehrlichkeit sich selbst gegenüber. So wird nach außen gerne betont, man sei in erster Linie am Werterhalt interessiert. Tatsächlich gehen die Gedanken aber viel weiter – ein möglichst hoher Wertzuwachs wird gewünscht. Und dann auch noch ein hohes Maß an Sicherheit fürs eingesetzte Geld.

Rückblickend kaum zu glauben, dass im bald zu Ende gehenden Nullzins-Zeitalter das Kontensparen (ich bezeichne es als „Falschsparen“) hierzulande so stark dominiert hat und weit über eine sinnvolle Liquiditätshaltung hinausgegangen ist. Erst nach vielen Jahren hat ein Umdenken eingesetzt: Sachinvestments in Aktien, Immobilien und Rohstoffen gewinnen gegenüber dem Zinssparen an Bedeutung. Jetzt verstärkt einteigen an den Kapitalmärkten, oder nicht? Eine aktuelle, aber nicht leicht zu beantwortende Frage privater Anleger. Denn angesichts der Entkoppelung von Nominalzinsen und Inflation ist man gut beraten, auf die Realrendite achten.

Kaufkrafterhalt nicht mehr ohne Risiko

Der Investment-Gigant Allianz Global Investors hat diesem Thema eine interessante Studie gewidmet. Im Folgenden daraus die wichtigsten Aussagen, wie beispielsweise: Der Kaufkrafterhalt ist die unterste Verteidigungslinie der Kapitalanlage. Das aber geht nicht ohne mehr Risiko.

Die Inflation ist wieder zurück. Sie macht sich nicht nur bei den täglichen Einkäufen bemerkbar, sondern auch bei der Kapitalanlage. Aktuell einer die Diskussionen der Börsianer beherrschenden Faktoren. Und das börsentäglich. Zwar sind die Nominalrenditen in weiten Teilen der Welt gestiegen und liegen jetzt zum überwiegenden Teil weltweit wieder über der Nullgrenze, aber das sind eben nur die nominalen Renditen. Die Inflation wird dabei nicht berücksichtigt. Und das macht einen gewaltigen Unterschied. Entscheidend sind die Realrenditen, also das, was bei der Kapitalanlage übrigbleibt, wenn über den Anlagezeitraum die Inflation an den Erträgen und der Investition zehrt.

Ein rechnerisches Beispiel

Wer davon ausgeht, dass sich die Inflationsraten wieder normalisieren, ist trotzdem gut beraten, mit diesen zu rechnen. So will die Europäische Zentralbank auf Dauer eine Rate von 2% p.a. erreichen. Angenommen, sie schafft dies, dann ergibt sich beispielhaft folgendes Bild: Eine nominale Rendite von beispielsweise 0,2% p.a. unterstellt, führt bei einer durchschnittlichen Inflationsrate von 2% zu einer Realrendite von -1,8% pro Jahr. Bei einer Anlage über 10 Jahre werden aus (nominal) 100 Euro wenig mehr als 83 Euro nach Kaufkraft. D.h. wer heute 100 Euro investiert, kann sich in 10 Jahren merklich weniger leisten.

Mehr Rendite – mehr Risiken

Dabei gilt aber die eiserne Regel der Kapitalanlage: Wer mehr Rendite will, muss bereit sein, höhere Risiken in Form höherer Kursschwankungen in Kauf zu nehmen. Damit geraten die Aktienmärkte in den Blickpunkt. Wer in Aktien investiert, investiert in Anteile an Unternehmen und beteiligt sich damit am unternehmerischen Ertrag ebenso wie am unternehmerischen Risiko. Die Historie zeigt, dass sich dies über alle Höhen und Tiefen hinweg gelohnt hat, aber es gab auch schmerzliche Perioden dazwischen. So stellt sich die Frage: Am Aktienmarkt einsteigen, oder doch lieber noch abwarten? Die Unsicherheiten sind erhöht. Gerade die Invasion in der Ukraine führt zu vielen Unabwägbarkeiten.

So könnte die Inflation in Folge steigender Rohstoffpreise weiter zulegen, was den Kaufkraftverlust verstärken würde, gleichzeitig aber auch zu einer Schwächung der Konjunktur und in der Folge der Unternehmensgewinne führen kann, was schlecht für die Aktienkurse wäre.

Einsteigen oder Abwarten?

Einsteigen oder Abwarten ist verhaltensökonomisch betrachtet keine einfache Entscheidung, denn die typischerweise vorherrschende Risikoaversion führt dazu, dass Anleger möglicherweise zu lange warten. Die Verlustaversion ist einfach zu stark. Das kann aber dazu führen, dass Rendite liegen bleibt. Die Vergangenheitsbetrachtung verdeutlicht folgenmdes: Hatte ein Anleger über die letzten 25 Jahre z.B. in den globalen Aktienmarkt (hier als Basis der MSCI Welt) investiert, dabei aber die besten 20 Tage an der Börse verpasst, erzielte er eine Durchschnittsrendite von jährlich 2,7%. Verpasste er sogar die besten 40 Tage, musste er einen Verlust von 0,6% pro Jahr hinnehmen. War er dagegen die ganze Zeit investiert, konnte er sich über knapp 8% p.a. freuen.

Fazit der Allianz GI-Betrachtung: Natürlich ist das der Blick in den Rückspiegel. Die Vergangenheit wird sich kaum 1:1 wiederholen, aber der Blick ist lehrreich, weil er die Kosten des Abwartens veranschaulicht. Diese „Kosten“ können nur reduziert werden, indem man nicht abwartet, sondern investiert. Wer das lieber vorsichtig angehen möchte, kann ratierlich einsteigen. Dabei wird der Betrag, der investiert werden soll, festgelegt, aber er wird nicht auf einmal, sondern über jeweils gleiche Beträge aufgeteilt und über einen bestimmten Zeitraum investiert, beispielsweise über ein halbes Jahr.

Der Verlustaversion ein Schnäppchen schlagen

Die Motivation dahinter ist: Es handelt sich um eine sogenannte „Odysseus-Strategie“, bei der sich der Anleger an eine bestimmte Strategie selbst bindet. Es ist eine Form der Selbstüberlistung, die helfen soll, dass man aus Sorge vor Verlusten nicht investiert und die besten Tage verpasst. Gleichzeitig kann der von Sparplänen bekannte Durchschnittskosteneffekt genutzt werden: Steigen die Kurse, wird weniger gekauft, sinken sie, landen mehr Wertpapiere im Portfolio. Resümiert Allianz GI-Stratege Dr.Hans-Jörg Naumer: An der Börse wird nicht geklingelt. Eine ratierliche Anlage kann dabei helfen, der eigenen Verlustaversion ein Schnippchen zu schlagen, gerade wenn es darum geht, in schwankungsanfälligere Anlageklassen zu investieren, um positive Realrenditen zu erzielen.