Der Anleger als Anlageproblem

Hallo allerseits!
Wenn`s ums Geld geht, sind wir Menschen besonders problembewusst. Je nach Spar- oder Anlageform treffen mehr oder weniger große Chancen und Risiken aufeinander. Die wiederum beeinflussen Gier und Angst (beide sind schädlich) – insbesondere bei Anlagen an der Börse. Es ist deshalb sinnvoll, bei der Geldstrategie von vornherein Risikoabwägung und Verlustbegrenzung nicht zu vernachlässigen. Dazu ist als erster Schritt erforderlich, dass sich der Anleger selbst erforscht und ehrlich seine Ausgangslage und Zielsetzung definiert. Leider fehlt gerade den privaten Investoren dazu oft die gebotene Disziplin.

Deshalb greife ich gern eine neue Studie der Ethenea Independent Investors auf, eine bankenunabhängige Kapitalverwaltungsgesellschaft. Titel ist „Die größte Herausforderung für Anleger“. Darin heißt es zusammenfassend: Unerwartete Kursstürze, verfallende Rohstoffpreise, Lockdown-verursachende Pandemien oder politisch unsichere Zeiten – viele Investoren dürften solche oder ähnliche Ereignisse als große Herausforderung bezeichnen. Der schlimmste Feind des Anlegers ist jedoch ein anderer – er selbst.

Zu dieser Einschätzung kam schon Benjamin Graham, der Urvater des Value-Investing, vor über 70 Jahren. Grahams Analyse, dass das Hauptproblem des Anlegers, und sogar sein schlimmster Feind, wahrscheinlich er selbst ist, ist heute aktueller denn je. Verzerrungen in der eigenen Wahrnehmung und Einschätzung – auch „Bias“ genannt – stellten Investoren auf der ganzen Welt immer wieder vor die Herausforderung, Investmententscheidungen zu treffen und dabei Bias möglichst zu vermeiden. Sie kennen sicher den „Home Bias“, liebe Leser, die zu starke Konzentration eines Aktiendepots auf heimische Werte. Ein Investment, das man aufgrund einer verzerrten Einschätzung tätigt, ist oft ein schlechtes Investment. Um dies zu vermeiden, müssen sich Anleger ihres Bias bewusst sein und so möglichst versuchen, diesen zu neutralisieren.

Grundsätzlich wird zwischen kognitiven und emotionalen Biases unterschieden, erklären die Luxemburger Investmentmanager. Kognitive Verzerrungen entstehen, wenn Anleger auf vermeintlich etablierte Konzepte bauen, jedoch Statistikfehler oder Ungenauigkeiten während der Informationsverarbeitung oder -speicherung ignorieren. Dem steht der emotionale Bias gegenüber, der meist spontan auftritt und auf den persönlichen Gefühlen zum Zeitpunkt der Entscheidungsfindung basiert.

Zwei der bekanntesten kognitiven Biases sind der Confirmation Bias (Bestätigungsfehler) und der Hindsight Bias (Rückschaufehler). Der Bestätigungsfehler tritt ein, wenn Menschen Informationen so auswählen und interpretieren, dass die bereits bestehende eigene Meinung bestätigt wird. Das gilt besonders im Investmentbereich als gefährlich. Anleger suchen dann nur noch nach Studien und Kennzahlen, die ihre eigene Investmentthese untermauern und lassen anderslautende Faktoren außer Acht. Im Resultat führt der Confirmation Bias zu schlechten Entscheidungen, da nicht alle Sichtweisen gegeneinander abgewogen werden.

Der Rückschaufehler führt hingegen dazu, dass mit dem Wissen vom Ausgang vergangener Ereignisse die Fähigkeit überschätzt wird, zukünftige Ereignisse vorherzusagen. Das kann den Blick in die Zukunft trüben. Der Hindsight Bias kann so zu schlechten Entscheidungen oder zu unbedachten Risiken führen, da die ursächlichen Umstände und Gründe des zu prognostizierenden Ereignisses nicht ausreichend berücksichtigt worden sind.

Verluste wiegen schwerer als Gewinne

Einer der wichtigsten emotionalen Bias, die Anleger laut Ethenea kennen sollten, ist der Verlustaversions-Bias. Dieser lässt Anleger nachweislich irrationale Entscheidungen treffen. So haben die Verhaltensökonomen Daniel Kahneman und Amos Tversky im Rahmen ihrer Prospect Theory nachgewiesen, dass für Menschen Verluste ein höheres Gewicht haben als Gewinne gleicher Höhe. Dies führt dazu, dass Anleger bei Gewinnen risikoavers handeln, also diese zu früh realisieren, und bei Verlusten risikoaffin agieren, also diese zu lange laufen lassen. Steht ein Investor vor einem Verlust von 100 Euro, nimmt er seine Reue viel stärker wahr als seine Freude bei einem Gewinn von 100 Euro. Obwohl es sich wirtschaftlich betrachtet um den gleichen Betrag handelt, erlebt der Anleger den Vorgang unterschiedlich.

Das ist ein Punkt, der mich als Beobachter und Freund der Privatanleger seit Jahrzehnten beschäftigt. Nie werde ich meine eigene Überraschung vergessen, als der Referent auf einem Investmentkongress in USA folgende (schier unglaubliche) Story erzählte: In einer amerikanischen Großstadt wurde dazu ein Test durchgeführt. Man verteilte an eine statistisch relevante Zahl von Haushalten zwei Umschläge. Einer erhielt die Gewinnbenachrichtigung einer lokalen Lotterie über 100 Dollar. Der zweite war so etwas wie ein Bußgeldbescheid (etwa wegen Geschwindigkeitsüberschreitung) in Höhe von 75 Dollar. Reaktionen in einer anschließenden Befragung: Obwohl das einer „Rendite“ von 25 Dollar entsprach, war eine starke Mehrheit der beteiligten Testpersonen bereit, auf den 100-Dollar-Gewinn zu verzichten, wenn man die 75-Dollar-Strafe nicht zu zahlen braucht. Kurios.

Anleger sollten sich selbst erkennen

Um die wichtigen Biases im Investitionsprozess zu umgehen, rät Ethenea zu klaren Regeln, einer gründlichen Dokumentation und einer objektiven Strategie. Verluste sollten in schwierigen Börsenphasen – am besten nach einem vorher definierten Regelsystem – konsequent begrenzt werden. Ich gehe einen Schritt weiter, man könnte auch sagen einen Schritt zurück: Viele Privatanleger wissen gar nicht, was sie wirklich wollen. Das gilt insbesondere für den zeitlichen Horizont, die Renditeerwartung und die individuelle Risikoneigung. So hatte ich schon vor vielen Jahrzehnten das folgende typische Erlebnis: In einer Vortragsveranstaltung mit etwa 500 Zuhörern war mein Hauptthema der Erfolg langfristiger Aktienanlagen. Dabei fragte ich das Publikum, wer im Saal denn wirklich langfristig investiere – fast alle Hände gingen hoch! Tatsächlich werden Privatanleger oft schon ärgerlich und nervös, wenn der Dax nach ein paar Monaten oder einem Jahr nicht so läuft wie erwartet. Deshalb bekräftige ich von Zeit zu Zeit: Prüft zunächst Eure Wünsche und Möglichkeiten, geschätzte Privatanleger, und seid dabei ehrlich zu Euch selbst!