Die zunehmende Auswanderung wohlhabender Bürger stellt Deutschland vor fiskalische Herausforderungen, meint die Politik. Als Reaktion darauf setzen Regierungen unterschiedlicher Couleur verstärkt auf die Wegzugsbesteuerung – ein Instrument mit historischen Vorläufern. Die 1972 eingeführte und zuletzt 2024 sowie unter der aktuellen Großen Koalition verschärfte Regelung besteuert Vermögen bei Auswanderung. Kritiker sehen darin eine Fortsetzung kontroverser Traditionen: Bereits 1931 wurde die „Reichsfluchtsteuer“ eingeführt, die später von den Nationalsozialisten zur Enteignung von Jüdinnen und Juden missbraucht wurde. Zwar ist die heutige Praxis nicht mit NS-Unrecht vergleichbar, doch strukturelle Parallelen – wie die Umkehrung der Beweislast – werfen Fragen auf.
Neue Fluchtsteuer?
Hintergrund ist die Sorge des Staates vor Steuerverlusten. Während das Grundgesetz die Ausreisefreiheit garantiert, müssen Auswandernde mit Vermögen über 5 Millionen Euro (ab 2025: 3 Millionen) bis zu 30 % ihres Vermögenswertes versteuern. Die Politik begründet dies mit der Sicherung des Steueraufkommens. Gegner argumentieren, dass strukturelle Probleme wie hohe Abgabenlast, bürokratische Hürden und gesellschaftspolitische Spannungen die eigentlichen Auslöser für die Abwanderung seien. Statt diese Ursachen anzugehen, werde das Symptom bestraft.
Historisch betrachtet zeigt sich ein ambivalentes Bild: Die Reichsfluchtsteuer der Weimarer Republik sanktionierte zunächst Steuerflucht, wurde aber ab 1933 zum Repressionsinstrument. Heutige Regelungen zielen zwar auf Rechtstreue, doch die vermeintliche „Umverteilungsmentalität“ stößt auf Kritik. Experten warnen vor einem Teufelskreis: Durch die Belastung steige der Anreiz zur Auswanderung, was langfristig Leistungsträger:innen und Innovationskraft kosten könnte.
Die Debatte offenbart ein Spannungsfeld zwischen fiskalischen Interessen und individueller Freiheit. Während der Staat Einnahmen sichern will, fordert die Wirtschaftspolitik Reformen, um Standortnachteile auszugleichen – ohne dabei historische Hypotheken zu ignorieren.