Auf dem Weg zum gläsernen Patienten

Der hippokratische Eid, den Mediziner leisten, verpflichtet die Ärzte, Stillschweigen über das zu bewahren, was ihre Patienten ihnen anvertrauen. Über 2.400 Jahre hinweg hat sich diese Selbstverpflichtung der Mediziner bewährt. Heute wird sie mehr und mehr zum Auslaufmodell herabgestuft, denn das Gesundheitswesen der Zukunft soll ein gläsernes werden.

Vor nicht einmal zwei Jahren hat an den Eingangstüren von Geschäften, Museen oder Restaurants nicht interessiert, wie es um unseren Gesundheitsstatus bestellt war. Wer nicht gerade auf allen Vieren röchelnd durch die Tür robbte, wurde als gesund angesehen und eingelassen.

Heute geht an vielen Stellen ohne gewisse Nachweise nichts mehr. Vordergründig geschieht das alles zu unserem Schutz und nur zu unserem Besten. Aber auf der Strecke bleibt ein Bisschen mehr als nur etwas Freiheit und das nur dem Einzelnen vollumfängliche gehörende Wissen, wie es um die eigene Gesundheit bestellt ist.

Wenn der Patient über sich selbst am wenigsten im Bilde ist

Am Ende wissen die anderen, also diejenigen, die unsere Daten speichern oder – die berechtigt oder nicht – darauf zugreifen können, mehr über uns als wir selbst. Denn während das menschliche Gehirn so gestrickt ist, Dinge, die wir als unwesentlich erachten, mit der Zeit zu verdrängen und zu vergessen, vergisst die Datenbank nichts.

Weder wie gesund oder krank Sie am 14. März 2037 waren, noch welche Impfungen oder anderen medizinischen Eingriffe Sie bis dahin hatten und schon gar nicht, wem Sie an diesem Tag alles begegnet sind. Sei es bewusst, weil sie eine Verabredung hatten oder unbewusst, weil der Platz im Zug oder Bus neben Ihnen nicht unbesetzt blieb.

Letzteres wird vor allem dann vermerkt und auf ewig erinnert werden, wenn die von den IT-Konzernen angestrebte Verknüpfung der Gesundheitsdaten mit anderen Daten realisiert wird. Egal ob das freiwillig, durch eine quasi erzwungene Freiwilligkeit mittels Ausschluss von bestimmten Vorteilen oder durch direkten Zwang geschieht. Die Folge ist in allen drei Fällen die gleiche: Unsere Privatsphäre bleibt am Ende vollkommen auf der Strecke.

Missbrauch ausgeschlossen?

Wer sieht, wie einfach es Hackern derzeit fällt, in die IT-Systeme von mittelgroßen und großen Konzernen einzudringen und diese lahmzulegen bzw. zu ihrem Vorteil zu manipulieren, der wird sich auch keine großen Illusionen darüber machen, wie „gut geschützt“ die persönlichen Gesundheitsdaten beim eigenen Hausarzt sind, wenn dieser alles, was Sie ihm sagen oder was der Mediziner bei Ihnen durch seine Untersuchungen feststellt, anschließend in eine große, allgemein verfügbare Datenbank eingetragen wird.

Auf dieses vollkommen gläserne Szenario laufen wir unweigerlich zu, wenn die jetzt von der Politik vorangetriebene Digitalisierung des Gesundheitswesens nicht verhindert wird. Ist das rückständig? Wenn Sie einen der Apostel der Digitalisierung fragen, dann lautet die Antwort bestimmt Ja.

Aber manche Dinge, wie zum Beispiel die Zusicherung des Hippokrates: „Was ich sehe und höre bei der Behandlung oder außerhalb im Leben der Menschen, so werde ich von dem schweigen, was niemals nach draußen dringen soll”, sind so gut, dass sie seit 2.400 Jahren keiner „Modernisierung“ und „Verbesserung“ bedurften.