Die politische Debatte um den Einsatz künstlicher Intelligenz in der Sicherheitsarchitektur Deutschlands hat einen neuen Höhepunkt erreicht. Alexander Throm, innenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion, fordert eine flächendeckende Videoüberwachung mit KI-gestützter Gesichtserkennung in deutschen Innenstädten. Als Begründung nennt er die „angespannte Sicherheitslage“ und verweist auf zunehmende Gewaltvorfälle im öffentlichen Raum.
Sein Vorschlag hat jedoch eine Welle der Kritik ausgelöst – nicht nur bei Datenschützern, sondern auch innerhalb der Koalition. Die Befürchtung: Ein solches System könnte die Grenze zwischen legitimer Kriminalitätsbekämpfung und permanenter Überwachung verwischen.
Sicherheit durch Technik?
Throm argumentiert, moderne Technologie sei notwendig, um Gefahren frühzeitig zu erkennen und Straftäter schneller zu identifizieren. Kritiker sehen darin eine Abkehr vom Prinzip der Verhältnismäßigkeit. Die flächendeckende Erfassung und Auswertung biometrischer Daten könne zu einer systematischen Erfassung der Bevölkerung führen.
Datenschützer warnen, dass Gesichtserkennungssysteme bereits heute in mehreren Bundesländern in Pilotprojekten erprobt werden – teilweise in Zusammenarbeit mit dem US-Unternehmen Palantir, das für seine Nähe zu Geheimdiensten bekannt ist. Diese Systeme verknüpfen polizeiliche Datenbanken, Überwachungskameras und Bewegungsprofile. Was als Pilotprojekt beginnt, könne rasch zur Normalität werden.
Die Forderung nach mehr Überwachung steht im Kontext einer breiteren sicherheitspolitischen Diskussion, die von Bundeskanzler Friedrich Merz angestoßen wurde. Er hatte eine Debatte über das „Stadtbild“ und das Sicherheitsgefühl in Großstädten eröffnet. Kritiker werfen der Union vor, mit dieser Rhetorik vor allem Wählerängste zu bedienen, anstatt strukturelle Probleme anzugehen.
Anstatt Ursachen wie fehlende Abschiebungen, überlastete Justiz oder unzureichende Grenzkontrollen konsequent anzugehen, ziele die neue Linie der Union auf technische Lösungen, die tiefer in die Privatsphäre eingreifen als je zuvor. Beobachter sehen darin den Versuch, politische Handlungsunfähigkeit durch technologische Kontrolle zu kaschieren.
Die Einführung von KI-Systemen zur Gesichtserkennung wirft grundlegende verfassungsrechtliche Fragen auf. Wer garantiert, dass diese Daten ausschließlich zur Verbrechensbekämpfung genutzt werden? Schon heute ist absehbar, dass die Systeme – einmal etabliert – auch in anderen Bereichen Anwendung finden könnten, etwa zur Überwachung von Demonstrationen oder Bewegungsprofilen politisch aktiver Personen.
In vielen europäischen Staaten ist genau diese schleichende Ausweitung zu beobachten. Systeme, die ursprünglich zur Terrorismusbekämpfung eingeführt wurden, dienen inzwischen der allgemeinen Überwachung öffentlicher Räume. Datenschützer warnen vor einer Entwicklung hin zu einem Modell, das mit demokratischen Grundwerten kaum vereinbar ist.
Trotz zahlreicher Warnungen hält die Union an ihrer Linie fest. Throm fordert eine Neubewertung des Datenschutzrechts, um „veraltete Bedenken“ zu überwinden. Diese Wortwahl stößt auf scharfe Kritik, weil sie den Eindruck erweckt, Grundrechte seien ein Hindernis statt eine Errungenschaft.
Gleichzeitig betonen Experten, dass Videoüberwachung in ihrer bisherigen Form nur begrenzte Wirkung gezeigt hat. In hoch überwachten Bereichen wie dem Einzelhandel bleiben Diebstähle und Gewalttaten alltäglich. Die reine Präsenz von Kameras schreckt Täter oft nicht ab – vor allem dann, wenn die Justiz keine konsequenten Folgen durchsetzt.
Die aktuelle Debatte über KI-Überwachung berührt weit mehr als technische Fragen. Sie betrifft das Verhältnis zwischen Bürger und Staat, das Vertrauen in politische Institutionen und den Kern des demokratischen Selbstverständnisses. Die Vorstellung, flächendeckend biometrische Daten zu erfassen, stellt einen Paradigmenwechsel dar – weg von gezielter Strafverfolgung, hin zu präventiver Kontrolle.
Während die Regierung Milliarden in neue Überwachungssysteme investieren will, bleiben zentrale Aufgaben ungelöst: überfüllte Gerichte, überlastete Polizei und eine Verwaltung, die oft monatelang auf Entscheidungen wartet.