Besatzung, G10: Deutschlands eingeschränkte Souveränität

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NSA, GCHQ, Drohnenstützpunkte – In Deutschland erlebt die Souveränitäts-Debatte ein Comeback. Die Ereignisse der letzten Jahre lassen bei vielen Menschen Zweifel aufkommen. Diese Zweifel fanden in dem viel geschätzten Buch „Überwachtes Deutschland“ ihre Bestätigung. Doch wie steht es um die bundesdeutsche Souveränität? Was ist mit dem Besatzungsstatut? Was sind die G10-Verträge? Diesen Fragen wollen wir auf den Grund gehen.

Geschichtliche Chronik

Die Souveränität der Bundesrepublik Deutschland hat mehrere Abschnitte erlebt. Nach Kriegsende 1945 gab es mehrere Phasen, Regelungen und Gesetze, die die Sichtweise vernebeln. Hier ein kurzer geschichtlicher Abriss:

1945, Deutschland: Der 2. Weltkrieg ist verloren, das NS-Regime gestürtzt, die Wehrmacht kapituliert. Die vier Siegermächte USA, Sowjetunion, Frankreich und Großbritanien übernehmen die Staatliche Hand auf deutschem Gebiet. Ein Besatzungsregime wird eingesetzt und das Besatzungsstatut tritt in Kraft. Souveränität auf deutschem Boden gibt es auch nach der Gründung der Bundesrepublik nicht. Formell, passiert das erst mit den Pariser Verträgen 1955. Doch politisch ist diese Souveränität eine Farce, denn die Allierten Vorbehalte und Geheimverträge garantieren weiterhin nahezu vollen Einfluss.  1991 kam dann mit den sogenannten „Zwei-plus-Vier-Vertrag“ der nächste Schritt der Gesamtdeutschen Souveränität. Demnach erklärten die Allierten die künftige Bundesrepublik als politisch sowie staatsrechtlich vollständig souverän.

Wirklich?

Nun müsste doch alles in Ordnung sein, sollte man meinen. Doch mit dem Aufkommen des NSA-Skandals kamen erneut Fragen auf. Handeln die ehemals allierten Geheimdienste von NSA bis GCHQ vielleicht sogar legal? Eine Debatte über Geheimabkommen kam auf. Einer dieser Geheimverträge ist der „G10-Vertrag“. Dabei handelt sich um eine Einschränkung von Art. 10 GG: Das Post- und Fernmeldegeheimnis. Demnach haben Verfassungsschutzämter von Bund und Ländern, der Bundesnachrichtendienst (BND) sowie der Militärische Abschirmdienst (MAD) die Erlaubnis, Telekommunikation zu überwachen und Postsendungen zu öffnen, unter bestimmten Vorraussetzungen.

Das G-10-Gesetz von 1968 löste zwar das Vorbehaltsrecht der Alliierten von 1955 ab – an der Spähfähigkeit änderte sich aber wenig. Denn gleichzeitig schloss die Bundesregierung von Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger (CDU) eine geheime Verwaltungsvereinbarung, die Verfassungsschutz und BND offiziell zu Handlangern alliierter Dienste machte. Fortan lieferten die deutschen Dienste Informationen und sorgten für die Infrastruktur. Die geheime Verwaltungsvereinbarung gilt bis zum heutigen Tag. Forscher Fotschepoth fand bei seinen Recherchen ein Exemplar des Dokumentes im Archiv des Auswärtigen Amtes. Die Papiere waren verschnürt mit schwarz-rot-goldenem Band – so werden gültige Verträge archiviert. Ein Bundestagsabgeordneter fragte der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung zufolge bei der Bundesregierung nach. Die Antwort: Die Vereinbarungen seien „noch in Kraft, haben jedoch faktisch keine Bedeutung mehr“,

In einer Verbalnote zum G-10-Gesetz bekräftigte die Bundesregierung damals den Inhalt eines Adenauer-Briefes. Der erste Kanzler hatte 1954 versichert, dass jeder alliierte Militärbefehlshaber bei einer unmittelbaren Bedrohung das Recht habe, „Schutzmaßnahmen“ zu ergreifen – ein schwammiges Plazet, das den westlichen Mächten freien Handlungsspielraum signalisierte. Auf dieser Basis installierten die Vereinigten Staaten ihr Spionage-System „Echelon“ bis 2004. Die Zusicherung ist bis heute nicht widerrufen oder eingeschränkt.

Prof. Dr. Josef Foschepoth, Zeithistoriker an der Universität Freiburg und Autor des viel beachteten Buches Überwachtes Deutschland. Post- und Telefonüberwachung in der alten Bundesrepublik, äußert sich in einem Interview mit dem Magazin „Hintergrund“ folgendermaßen:

„Die alte Bundesrepublik ist nie ein wirklich souveräner Staat gewesen. Die Besatzungsmächte behielten sich bis 1990 bestimmte Josef FoschepothRechte vor. Dies betraf nicht nur die Berlin- und Deutschland-Frage, sondern auch die Frage der Truppenstationierung. Und – wie ich erstmals herausgefunden habe – es kamen noch drei weitere Vorbehaltsrechte, der Notstands-, Überwachungs- und Geheimdienstvorbehalt, hinzu. Mit dem Zwei-plus-vier-Vertrag verloren lediglich die vorbehaltenen Rechte „in Bezug auf Berlin und Deutschland als Ganzes ihre Bedeutung“. Sonderrechte, die hinsichtlich der Truppenstationierung, des Überwachungs- und Geheimdienstvorbehalts längst in deutschen Gesetzen verankert waren, blieben erhalten. Während solche Sonderrechte mit der Sowjetunion in einem Separatvertrag ausdrücklich geregelt und abgelöst wurden, blieben sie gegenüber dem Westen unangetastet. So gingen diese alliierten Rechte als Erbmasse in die Vereinigung der beiden deutschen Staaten ein. Dies erklärt, warum heute nicht Russland etwa in der Nähe von Leipzig, sondern die USA in Wiesbaden ein großes Überwachungs- und Spionagezentrum – mit Einwilligung der Bundesregierung oder vielleicht auch ohne – errichten darf.“

In seinem Buch erläutert er ausführlich und gut recherchiert die Lage der Bundesrepublik in Bereichen Souveränität und Überwachung. Auch dieses Werk blieb medial weitgehend unbeachtet. Offiziell hatte die Bundesregierung 2010 „weite Teile“ des Gesetzes aufgehoben, welche weiteren Beschränkungen noch gelten ist weiter unklar.