Es kommt einem so vor als ob die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Francois Hollande aus einem langen und hässlichen Traum endlich aufgewacht sind und festgestellt haben, dass es doch kein Traum war. In ihrem Traum gab es diesen unbequemen russischen Präsidenten, den manch ein Politiker hierzulande und über den grossen Teich als neuen Hitler bezeichnete. Und dieser neue Hitler schickte sich an ganz Europa zu erobern, angefangen mit der kleinen Halbinsel Krim um dann über die Ukraine nach Polen, über Nacht das Baltikum um dann endlich den Hauptpreis in Deutschland entgegenzunehmen.
Selbstverständlich kam in diesem Traum der Putsch gegen die demokratisch gewählte Regierung von Viktor Janukovitsch nicht vor und ebenso wenig gab es irgendwelche Nazis die die russischsprachige Bevölkerung abschlachtet. Am allerwenigsten aber zeigten sich die negativen Auswirkungen für Europa und für hunderttausende Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die von einer verantwortlichen Politik abhängig sind.
Der Weckruf aus diesem Traum – oder Albtraum, je nachdem – kam letzte Woche in Form des offiziellen Aufrufes des US-Kongresses an Präsident Barack Obama, der Ukraine endlich Waffen zu liefern. Zwar spricht man nur von sogenannten „defensiven Waffen“, aber egal wie man sie nennt, Waffen bleiben Waffen. Merkel und Hollande wissen nur zu gut was passiert wenn die USA irgendwohin Waffen liefern. Beispiele gibt es ja zur Genüge wie man in Syrien oder Libyen beobachten kann, um nur einige zu nennen. Und wie das Beispiel Ukraine selbst gezeigt hat, wissen Merkel und Hollande dass es Vladimir Putin auch Ernst meint wenn es heisst „Njet bedeutet Njet“ und gewisse Grenzen überschritten werden. Der Putsch und das rücksichtslose Vorgehen der Putschistenregierung von Kiev zeigt überdeutlich was passiert, wenn diese Grenzen übertreten werden. Eine weitere Grenze die überschritten würde, wären amerikanische Waffen für die Putschistenregierung im grossen Stil. Angela Merkel wird vermutlich die Analyse ihres eigenen Geheimdienstes kennen, der die offiziellen Angaben aus Kiev zu den Opferzahlen (ca. 6000) für viel zu wenig hält und stattdessen eher von ungefähr 50`000 Todesopfern ausgeht. Diese Zahlen korrespondieren ebenfalls mit jenen der sogenannten Novorossiya Armed Forces (NAF), den Paramilitärs der Menschen in der Ostukraine, die allein im vergangenen Sommer so viele gefallenen ukrainischen Soldaten gezählt hat wie die offizielle Statistik als Ganzes angibt. An dieser Stelle sei auch daran erinnert, dass Petro Poroschenko Massengräber für 250`000 Opfer ausheben lassen will, was die Berichte des deutschen Geheimdienstes ebenfalls stützen würde.
Sollte Washington also tatsächlich beginnen in aller Öffentlichkeit eine grosse Anzahl von schwerem Kriegsgerät an die Ukraine zu liefern, würde das eine Reaktion aus Moskau hervorrufen. Nicht nur hervorrufen, sondern im Grunde genommen direkt eine Reaktion provozieren. Aufgrunddessen dass die neuesten Umfragen in Russland zeigen, dass 85% der Bürger Präsident Putin stützen und 81% negativ gegenüber den USA (letztes Jahr 44%) sowie 71% gegenüber der EU eingestellt sind, braucht sich Putin vor dem russischen Stimmvolk nicht sonderlich erklären wenn weitere Grenzen überschritten werden. Was hier bei uns völlig untergeht im Strudel des Propagandakrieges, ist das was jeder gute Diplomat eigentlich tun sollte, sich nämlich mit der Wahrnehmung seines Gegenübers zu beschäftigen. Denn Russland sieht sich als Opfer westlicher Intervention direkt vor der Haustüre und befürchtet nicht ganz unbegründet dass der Putsch in Kiev nicht der letzte Punkt auf der Agenda war.
Was Angela Merkel und Francois Hollande aus dem Traum riss war die Vorstellung, dass Russland sich dem Problem in der Ukraine selbst stellen wird wenn es dazu herausgefordert wird und tatsächlich das wahr macht was sowieso jeder aufgrund der Propaganda unserer Medien denkt, nämlich in die Ukraine einzumarschieren. Allerdings wird das nicht nur ein Einmarsch werden um Donetsk und Lugansk zu verteidigen, sondern ein Durchmarsch bis nach Kiev um die Putschistenregierung mitsamt ihrer Nazi Sturmtruppen zu vertreiben. Das denkt auch der Militärexperte Yevgeni Buchinskiy, der am 01.02.2015 der Süddeutschen Zeitung sagte dass „die NATO dadurch in eine schwierige Situation geraten würde„. Entweder müsste der Westen dieses Ergebnis im Fall der Fälle akzeptieren, oder aber „sie (die NATO) müssten den Dritten Weltkrieg starten.“
Ob es tatsächlich solche gewaltigen Ausmasse wie einen Dritten Weltkrieg annehmen würde sei dahingestellt, aber die Wahrscheinlichkeit, dass die Situation außer Kontrolle gerät ist sehr hoch. Ebenso wie die weitere Vorstellung dass die Deutschen eines Morgens feststellen müssen, dass der Einkaufstourismus nach Polen der Vergangenheit angehört weil an der Grenze wieder der Bundesgrenzschutz und das Militär steht, da sich Deutschland plötzlich als Anreinerstaat einer Kriegsfront bezeichnen muss.
So allmählich scheinen sich einige europäischen Politiker bewusst zu werden, was sie da für ein ungeheuerliches Projekt unterstützt haben. Man kann über die Gründe nur rätseln weshalb es überhaupt so weit kommen musste und weshalb unsere Volksvertreter ihre Augen vor der Realität verschlossen haben. Das die Ukraine unbedingt an die Europäische Union gebunden werden soll hat so gut wie gar nichts mit dem nun angeführten „unbedingten Willen der europäischen Familie anzugehören“ wie es aus Kiev heisst. Im Artikel „Warum Ukraine“ habe ich versucht darzulegen, dass es nicht so sehr die Europäische Union war die die Anbindung der Ukraine forciert hat, sondern viel mehr die USA, die die NATO und die EU für ihre eigenen Zwecke instrumentalisiert hat.
Parlamentsmitglied sagt noch vor Maidan Proteste Putsch voraus
Oleg Tsarov, Parlamentsmitglied in Kiev und Vertreter der Dnipropetrovsk Oblast, hielt eine Rede am 20. November 2013 vor der Rada (Parlament) wo er vor subversiven Aktivitäten warnt die von der US-Botschaft in Kiev ausgehen. (Genau das gleiche Vorgehen wie z.Bsp. 1953 in Teheran/Iran) Tsarov sagte. dass er über „klare Beweise“ verfügt, dass die Amerikaner einen „Bürgerkrieg“ vorbereiten indem „staatliche Institutionen durch moderne Medien (Facebook, Twitter, etc.) diskreditiert“ werden sollen, „potentielle Revolutionäre Massenproteste organisieren“ und die „staatliche Ordnung gestürzt werden“ soll. Nur einen Tag später brachen die sogenannten „Maidan Proteste“ aus, und auch alles andere was Oleg Tsarov an jenem verhängnisvollem 20. November gesagt hat ist eingetroffen.
Die Rolle der USA bei dem Putsch gegen die Regierung von Viktor Janukovitsch bestätigte auch der ukrainische General Yan Kazemirovich am 07. März 2014 in Simferopol, als er die Ukraine unter „US-Besatzung“ bezeichnete und die ukrainischen Drahtzieher des Putsches nannte.
Selbst Barack Obama liess die Bombe platzen als er in einem CNN-Interview zugab, dass die USA an dem Putsch im Februar 2014 in der Ukraine teilgenommen haben. Warum fällt es also der deutschen Regierung so wahnsinnig schwer zuzugeben, dass sie in Kiev mit ihrer Diplomatie gescheitert ist und am Ende einen Putsch unterstützt hat, wenn es sogar der amerikanische Präsident getan hat?
Paradoxerweise ist dieses „Geständnis“ von Obama genau mit ein Faktor weshalb in Berlin und Paris plötzlich Panik ausgebrochen ist. Denn wenn die Wahrheit endlich gesagt wurde, braucht man sich nicht mehr hinter einer Lüge zu verstecken sondern man kann offen die Karte ausspielen die man geworfen hat. Während die USA bei den bisherigen Umstürzen und deren Versuche immer darauf bedacht war sich halbwegs bedeckt zu halten, hat Obama nun ganz klar ausgesprochen dass sein Land für den Putsch in der Ukraine mitverantwortlich ist. In der Konsequenz bedeutet das, dass Washington alles dafür tun wird um das installierte Regime in Kiev so lange wie möglich zu halten. Und dafür ist man offensichtlich sogar bereit ukrainische Soldaten zu opfern, nur um die eigenen Söldner oder vermutlich sogar Einheiten von US-Elitesoldaten vor dem Zugriff durch die NAF zu beschützen und dadurch ein ähnliches Fiasko wie letztes Jahr mit der Rolle von Victoria Nuland zu vermeiden.
Ein anderer wichtiger Punkt ist, das mit diesem „Geständnis“ auch eine weitere Offensichtlichkeit ans Tageslicht gerückt wurde, nämlich dass dieses Projekt mit der Ukraine kein Kind der Europäischen Union ist wie es sich das „Aussenministerium“ der EU noch heute vormacht, sondern eben ein Amerikanisches. Natürlich kann man dieses Kind nicht beim Namen nennen, stattdessen versucht Obama die Situation mit Wortakrobatik zu bezeichnen:
„Es mag taktische Differenzen geben, aber vielleicht gibt es die auch nicht.“
Ja, taktische Differenzen gibt es zur Genüge und in fast allen Fragen zwischen Washington und den westeuropäischen Hauptstädten. Das allergrösste Problem aber besteht nicht zwischen Washington und Brüssel, sondern zwischen Washington und Berlin. Während Angela Merkel die Eiserne gegenüber Athen spielt und alles dafür tut dass es nicht zu einem Austritt Griechenlands aus der Eurozone kommt – nicht so sehr wegen dem Euro sondern wegen der dann folgenden Möglichkeit eines kompletten Austritts aus der EU und der Signalwirkung auf andere Länder – und dafür auf Massnahmen besteht die die griechische Mittelschicht immer weiter auslöscht, fällt ihr Obama in dieser Frage in den Rücken. Damit nicht genug, um Griechenland nicht an Russland zu „verlieren“ bietet sich Obama sogar als Weisser Ritter an sollte sich Deutschland bzw. Brüssel weigern den Vorstellungen Athen`s entgegenzukommen.
Angela Merkel sitzt gewissermassen in der Falle. Weder möchte sie dass Deutschland plötzlich an einem Kriegsgebiet mit all seinen Konsequenzen angrenzt, noch möchte sie dass sich irgendjemand von Aussen in ihre Griechenland-Politik einmischt. Kurz nach der Wahl von Alexis Tsipras zum Ministerpräsidenten von Griechenland, zeigte sich Merkels Achillessehne als sich EU-Parlamentspräsident Martin Schulz „besorgt“ zeigte über die potentielle Annäherung zwischen Athen und Moskau:
„Ich sagte zu Tsipras: Sie verlangen Solidarität von europäischen Partnern. Aber Ihr erster Schritt war eine Verletzung der Solidarität in der Aussenpolitik. Dabei wird nichts Gutes herauskommen.“
Auch im Umgang mit der Ukraine herrscht nicht gerade Einigkeit zwischen Berlin und Washington. Während Angela Merkel kategorisch eine militärische Bewaffnung der Ukraine ausschliesst, lässt Obama diese Möglichkeit noch weiterhin offen. Gerade der US Kongress ist es der hier massiven Druck gegen Obama aufbaut und sich vermutlich nicht nochmal so düpieren lässt wie beim Abbruch des amerikanischen Angriffs auf Syrien in allerletzter Minute. Gerade die als „Kriegstreiber“ bekannten Senatoren wie John McCain, Ted Cruz, Robert Menendez, Mark Kirk und viele weitere drängen darauf, dass das Weisse Haus endlich Waffen an die Ukraine liefert. McCain ist in seinem Ehrgeiz sogar ein kleiner Lapsus durchgegangen als er in einem Interview mit dem sehr guten Nachrichtenportal SputnikNews zugegeben hat, dass die Ukraine Streubomben in der Ostukraine einsetzt. Obwohl diese Tatsache von unseren Medien und Politikern immer wieder verneint wurde, hob McCain diesen Punkt hervor und begründete diesen aber damit, dass das Putschistenregime in Kiev zu Streubomben greifen müsse weil „die USA bisher noch keine Waffen geliefert hat„.
Wie üblich rühren die amerikanischen Medien ebenfalls die Werbetrommeln für Waffenlieferungen an die Ukraine. CNN berichtete sogar von Waffen an pro-US Truppen in der Ukraine, was angesichts der Tatsache dass jene Kämpfer in der ukrainischen Armee die mit an Extremismus grenzenden Eifer in die Schlacht ziehen sehr oft Nazis sind, doch sehr makaber klingt. Die Washington Post hingegen befürwortet eine Lösung ganz im Sinne eines klassischen Rambo Abenteuers: Russland soll als echte Gefahr für Europa anerkannt werden; amerikanische Gesetzgebung in Europa durchsetzen um die russische Geldwäsche zu stoppen, was London und die „Gnome“ in Zürich endlich dazu bringen würde den Preis für ihre Praktiken zu zahlen; die Eliteeinheit der 82. Airborne Unit nach Donetsk entsenden und eine Mauer wie in Berlin um Donetsk ziehen, während der Rest der Ukraine wie West-Deutschland behandelt werden soll.
Angela Merkel steht vor einem Trümmerhaufen ihrer eigenen Politik. 2015 ist nicht 2005, die Welt hat sich rasend schnell verändert. Sie hat zugelassen dass Washington ihr die Zügel aus der Hand entreisst und die Kutsche statt in Richtung Eurasischer Integration in Richtung US-dominierter TTIP steuert. Sie hat zugelassen dass der so wichtige Austausch mit Russland in nahezu allen Belangen vergiftet wurde. Es wird – sofern es ihr gelingt all jene Kräfte die unbedingt Waffen an die Ukraine liefern wollen davon zu überzeugen genau das nicht zu tun – vielleicht Jahre dauern bis wieder die gleichen freundschaftlichen Beziehungen zwischen Europa, aber allen voran Deutschland und Russland herrschen wie noch im Jahr 2013. Was aber äusserst schwierig werden wird weil ja sie selbst den harten Kurs am Anfang gegen Russland und für einen von Faschisten getragenen und von Nazis durchgeführten Putsch unterstützt hat. Und das alles mit der Begründung weil Vladimir Putin angeblich die Ukraine besetzt und die Krim annektiert hat. Gerade sie die in der DDR aufgewachsen ist und die Wiedervereinigung gefeiert hat, sollte doch am allerbesten wissen dass es sich dabei um keine völkerrechtswidrige, aggressive Annektierung Russlands gehandelt hat, sondern dass es der Wunsch der absoluten Mehrheit auf der Krim war diesen Schritt zu vollziehen. Noch heute sagen 82% dass es der richtige Schritt war.
Auch Francois Hollande hat den Ernst der Lage erkannt und stärkt seiner Amtskollegin in Berlin den Rücken:
„Wenn wir es nicht schaffen nicht nur ein ganzheitliches, sondern ein andauerndes Friedensabkommen zu erzielen, wissen wir ganz genau welches Szenario geschehen wird. Es hat einen Namen; es wird Krieg genannt.“