Der Staat als Instrument der Machtsucht Einzelner

 Es ist der Fluch der Zeit, dass Tolle Blinde führen!  (Shakespeare)

vom Fassadenkratzer

Psychologie der Macht

Es gibt viele Formen, Macht über andere Menschen auszuüben. In jedem Fall dient sie dazu, den Willen anderer zu unterdrücken oder zu überwältigen, sie dem eigenen Willen zu unterwerfen und ihre Freiheit damit auszuschalten. Die primitivste Form der Macht wird durch die größere physische Stärke ausgeübt, wie sie im Tierreich dominiert. Der dem Tierreich scheinbar entwachsene Mensch verstärkt sie mit Hilfe seines verschlagenen Verstandes noch durch physische Waffen. Oft genügt es schon, ihren schrecklichen Einsatz anzudrohen, um die zu Beherrschenden gefügig zu machen, sie entweder zu murrenden Gefolgsleuten oder devoten Sklaven  zu erniedrigen. Oder eben es kommt zum Kampf bzw. zum Krieg.
Der aggressive persönliche Kampf dient dazu, den Anderen durch körperliche Schmerzen zur Aufgabe seines eigenen Willens zu zwingen, ihn also als eigenständige Person mit freiem Willen seelisch auszuschalten und – fügt er sich nicht, ihn auch physisch zu eliminieren. Der Angriffskrieg hat das Ziel, viele Menschen physisch zu vernichten oder mindestens zu verstümmeln und Zerstörung, Leid und Not zu verbreiten, damit die Überlebenden ihren eigenen Willen aufgeben und sich der seelischen Unterwerfung fügen. Mit dieser Machtausübung der physischen Vernichtung und seelischen Ausschaltung anderer Menschen ist in der Reihe des Lebendigen die eigentliche Menschenstufe natürlich noch nicht erreicht.  Der Mensch gebraucht das Himmelslicht der Vernunft, seine Anlage zur Menschwerdung, „nur tierischer als jedes Tier zu sein“ (Goethe: Faust I, Prolog).
Dem Machtstreben liegt die eigensüchtige und zugleich hasserfüllte Ausdehnung des eigenen Ego über andere Menschen und ihre Güter zugrunde. In gesteigertem Selbstgefühl maßlos aufgeblasen, sucht es nach einem weiteren Anwachsen seiner selbst, indem es sich Andere untertan macht. Es erlebt sich in der Macht über die Erniedrigten verstärkt und erhöht, und diesen narzisstischen Rausch möchte es nicht mehr missen. Daher ist es ständig von Argwohn und Furcht erfüllt, seine Macht wieder an einen Stärkeren zu verlieren. Denn es empfindet unbewusst die Hohlheit und Hybris des eigenen Machtanspruchs. Das  Streben nach Macht steigt aus innerer geistiger Schwäche auf und lebt in ständiger Furcht, die sich in Hass Luft macht, der sich in Gewalt austobt.

Geschichtliche Entwicklung der Macht

Machtausübung einzelner über die anderen hat es in der Menschheitsgeschichte natürlich immer gegeben. Sie hat in der Geschichte der Menschheit im wesentlichen drei Entwicklungsphasen durchlaufen. (1)  In den orientalischen Reichen der Assyrer, Babylonier oder Ägypter des 3., 2. Jahrtausends v. Chr. erlebten die Menschen die Macht des Herrschers als eine göttliche Macht. Der Priesterkönig oder Pharao war ihnen ein auf Erden erschienener Gott, ein Sohn des Himmels, dessen Macht keine äußere Gewalt bedeutete, sondern in der überlegenen göttlichen Weisheit und Güte bestand, aus der heraus er das Leben der Menschen zu ihrem Heile ordnete und leitete, wozu sie selbst noch nicht imstande waren. Der Herrscher und seine Minister wurden als etwas Höheres als gewöhnliche Menschen erlebt; Götter und Untergötter sprachen und wirkten in ihnen. Eroberungen anderer Länder bedeuteten eine Ausdehnung des Gottesreiches.
In der weiteren Entwicklung, die in Griechenland und Rom begann und durch ein Erwachen des begrifflichen Denkens und die damit verbundene stärkere Selbständigkeit des Einzelnen gekennzeichnet ist (siehe Aufgabe Europas), zogen sich sozusagen die Götter etwas zurück. Es trat eine Spaltung in eine mehr weltliche und eine kirchliche Macht ein. Der Herrschende wurde nicht mehr als der Gott selbst, sondern als der von Gott Beauftragte und Inspirierte erlebt, als der Herrscher von Gottes Gnaden. Er war ein Mensch wie alle anderen, aber aus ihnen herausgehoben durch den Adel seiner Seele, der es dem Gotte ermöglichte, ihn für seine leitenden Aufgaben zu inspirieren, derer die Menschen in einer gewissen Weise noch immer bedurften. Der Herrscher war ein Symbol, ein Bild dessen, was nicht mehr in der irdischen Welt da war. Er war mit seinen Taten nicht mehr der Gott selbst, sondern nur noch der Ausdruck von dessen machtvoller Weisheit, Güte und Gerechtigkeit, die sich durch ihn in die irdische Welt ergießen und realisieren sollten. Jetzt konnte eigentlich erst das Diskutieren über öffentliche Angelegenheiten entstehen, da sich unterschiedliche Auffassungen darüber bilden konnten, ob das, was sich im Physischen abspielte, ein wirkliches Abbild des Göttlichen war.
luther-vor-cajetanMit der Neuzeit setzte wieder eine gewaltige Bewusstseinsveränderung ein, in der sich der einzelne Mensch immer mehr auf die Spitze der eigenen Persönlichkeit zu stellen begann, um aus eigener Erkenntnis sein Leben selbst zu gestalten. Luthers Worte auf dem Reichstag zu Worms: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir!“, die er Kaiser, Fürsten und kirchlichen Würdenträgern entgegenschleuderte, sind für die innerlich zur Unabhängigkeit erwachte Persönlichkeit besonders kennzeichnend. Der Herrscher wurde nicht mehr als Gottgesandter erlebt, der durch höhere Erkenntnis andere zu lenken berechtigt wäre. Jeder fühlte sich selbst in der Lage und berechtigt, zu den benötigten Erkenntnissen zu kommen. Der Anspruch des „Gottesgnadentums“ war hohl geworden, hielt sich aber noch lange auf dem Thron. Seine Macht  war jedoch vollkommen entgeistigt und veräußerlicht. Was vorher Symbol war, das noch mit einer Wirklichkeit in Verbindung stand, wurde zur Phrase, die pompös vortäuscht, was nicht mehr vorhanden ist. Was als innere Macht in selbstverständlicher Autorität gewirkt hatte, wurde nun, geistig entleert, zur äußeren Macht, die sich nur als Gewalt durchsetzen und behaupten konnte.

Machiavellismus

niccolo_machiavellis_portrait_headcropDie Macht, die im Geistigen ihren Ursprung und ihre Legitimation hatte, war im Interesse der menschlichen Freiheit versiegt. Aber an ihre Stelle setzte sich die äußere Gewalt, die aus dem nackten Egoismus der irdischen Persönlichkeit aufstieg und sich den Staat als Instrument gestaltete. Auf den Egoismus hat Machiavelli (1469 – 1527) seine Theorie vom Staat gegründet, die ungeheuren Einfluss auf die Entwicklung des modernen Staates genommen hat. Er ging dabei von der Voraussetzung aus, dass die Menschen von Natur aus schlecht seien und es auch unveränderlich blieben, da es keine fortschreitende Entwicklung in der Menschheitsgeschichte gebe, sondern nur einen ewig sich wiederholenden Kreislauf. Die Konsequenz daraus war für ihn der zum Prinzip erhobene Egoismus, der notwendig das Regieren des Fürsten bestimme. Das egoistisch-kluge politische Handeln unterscheide prinzipiell nicht zwischen guten und üblen Mitteln, sondern setze beide ein, je nach ihrer Zweckmäßigkeit für den erstrebten Erfolg, die Sicherung und Erweiterung der äußeren Macht. (2)

Sein Staats-„Zweck“ ist Macht um ihrer selbst willen. Das äußere Ziel der staatlichen Entwicklung war Machiavelli die Bildung eines starken, geschlossenen, wohlgeordneten Staates, beruhend auf Zentralisation, vor allem aber der Nationalstaat. Das Schwergewicht liegt aber bei Machiavelli nicht auf diesen Zielen, sondern auf den Mitteln des politischen Handelns. Gerade hier zeigt sich der „Machiavellismus“ am unverfälschtesten, und gerade hiermit hat Machiavelli (die damalige politische Wirklichkeit theoretisierend) Schule gemacht. Verbrechen aller Art spielen hier gleichsam ihre „legitime“ Rolle. Machiavellis Schriften sind erfüllt von Schilderung und Empfehlung von Lüge, Betrug, List, Täuschung, Verrat, Treubruch, Gewalttätigkeit jeder Art, Vernichtung anderer Menschen, Mord und Grausamkeit. (…) Auch die „guten“ Mittel werden nur aus Egoismus angewandt: z. B. fördert der Fürst die Untertanen nicht um ihrer selbst willen, sondern weil er an ihrer Wohlfahrt, ihrer Zufriedenheit usw. ein egoistisches Interesse hat. (3)

Der Machiavellismus hat im politisch-sozialen Leben bis heute seine starken Wirkungen entfaltet. Jeder kann sie am Verhalten und Handeln der meisten führenden Politiker beobachten. Und auch im System des modernen Staates sind sie deutlich wahrnehmbar:

Wer von dem Misstrauen gegen die menschliche Natur ausgeht, muss allen Nachdruck darauf legen, dass der Mensch durch äußeren Zwang zu einem einigermaßen sozialen Verhalten gezwungen werden muss. Dazu muss sich der Staat zu einem Machtstaat ausbilden, der auch wirklich die umfassende Gewalt hat, um den Zwang durchzuführen. Mit der immer stärkeren Ausschaltung der Sittlichkeit in der Politik wird das eigentlich Menschliche ausgeschaltet, dasjenige, das den Menschen vom Tier und von den leblos-mechanischen Kräften unterscheidet. An die Stelle des menschlich-sittlichen Handelns wird daher ein mechanisches Spiel der Interessen, eine Abwägung und Ausbalancierung der Machtfaktoren treten; die Politik wird etwas wie ein Schachspiel werden, der Staat sich zu einem Unpersönlich-Maschinellen entwickeln. (4)

Der absolutistische Einheitsstaat

Ludwig XIV. im Krönungsornat (Porträt von Hyacinthe Rigaud, 1701)

Le roi soleil – Ludwig XIV. im Krönungsornat (Porträt von Hyacinthe Rigaud, 1701)


Was in Italien in der Renaissancezeit mehr punktuell begonnen hatte, wurde in Frankreich in systematischer und planmäßiger Weise auf breiterem Boden ausgebaut und weitergeführt. Es erreichte einen Höhepunkt im Absolutismus Ludwig IV. (1643-1715). Dessen Egoismus steigerte sich in einem solchen Maße, dass sich sein Ich gleichsam zu einer eingebildeten „Sonne“ aufblähte, die alles im Staate beschien, das gesamte Leben des Volkes, die Kultur und das merkantilistische Wirtschaftsleben umschloss, für die eigene Macht instrumentalisierte und zentral lenkte. In größenwahnsinniger Maßlosigkeit fühlte sich das Ego des Herrschers ausgeweitet zum alles umfassenden Staate  – „L´État c´est moi“ (Der Staat bin ich). Der „Sonnen-König“ sah sich mit dem Ganzen des Staates identisch, ordnete alles nach seinem Willen. Alle hatten ihm zu gehorchen und zu dienen, denn sie dienten damit dem Staate, von dem sie ein funktionierendes Teilchen waren. Karl Heyer schreibt dazu:

„So werden vom staatlichen Zentrum aus alle drei sozialen Lebensgebiete ergriffen und zu einer straffen, militanten Einheit zusammengeschweißt, die von einem Geist beherrscht wird: das politisch-verwaltungsmäßig-militärische Gebiet, das wirtschaftliche und das kulturelle. Und alles dient dem Könige.“  (5)

Es wurde so eine hierarchisch aufgebaute bürokratische Staatsmaschinerie geschaffen, in die der einzelne Mensch hilflos eingegliedert war. Der König an der Spitze und seine Beamten saßen an den Schaltstellen dieses riesigen Herrschaftsapparates, der ein perfektes Instrument für ihn war, alle anderen Menschen mit unausweichlicher Gewalt seiner persönlichen Machtsucht zu unterwerfen.

„Aber die Staatsentwicklung bei Ludwig XIV. ist wirklich nur ein besonders signifikantes Beispiel und das größte und imposanteste der Zeit für die Entwicklungsdynamik, die damals in allen Staaten des Fürstenabsolutismus überhaupt herrschte.“ (6)

Dieser absolutistische Einheitsstaat wurde prägend für die ganze neuere Zeit.

Der liberal-demokratische Einheitsstaat

Mit Empörung stemmten sich immer mehr die Kräfte des Individuums gegen diese unzeitgemäße, entwicklungsfeindliche Dynamik unberechtigter Machtausübung. Sie fegten in der Französischen Revolution von 1789 die hohl gewordene Monarchie Frankreichs grausam hinweg. Von England, in dem schon hundert Jahre zuvor in der Glorious Revolution die Monarchie zu einem nur noch geduldeten Schattendasein verurteilt worden war, übernahm man die Ideen des Liberalismus und der parlamentarischen Demokratie, durch welche die Macht auf die ganze Bevölkerung, repräsentiert durch ihre gewählten Vertreter, übergehen sollte. Aber die Problematik des Einheitsstaates wurde nicht durchschaut. Der vom Absolutismus übernommene Machtapparat blieb nicht nur bestehen, sondern wurde noch weiter ausgebaut und perfektioniert. So suchte der liberale Freiheitsimpuls gegen den omnipotenten Einheitsstaat nur einen persönlichen Freiheitsraum für den Einzelnen geltend zu machen, der aber nur sehr begrenzt durchdrang und in der Wirtschaft als wirtschaftlicher Liberalismus zum Egoismus-Exzess des Kapitalismus führte.
Mit der Demokratie machte sich die berechtigte Forderung der Individualität geltend, die Gesetze sich nicht von oben diktieren zu lassen, sondern bei der Entstehung des Rechts mitzuwirken. In dem Maße aber, wie die Rechtsorganisation, der Staat, eine Allzuständigkeit für jedes Lebensgebiet in Anspruch nahm und durch Gesetze reglementierte, wurden in das Recht, das nur die Beziehungen zwischen den einander gleichberechtigten Menschen zu regeln hat, inhaltliche Gestaltungen des Lebens aufgenommen, die Angelegenheit der sachkundig im Wirtschafts- und Kulturleben wirkenden Menschen selbst sind. Das führte dazu, dass der Impuls der Selbstbestimmung sich noch in der Debatte artikulieren kann, im Moment der Abstimmung aber ausgeschaltet wird, denn damit sind alle gleichermaßen an die daraus folgenden inhaltlichen Regelungen gebunden und müssen – von außen bestimmt – nach ihnen handeln. Aus dem Streben des Individuums nach Selbst- und Mitbestimmung entstanden, führt der Parlamentarismus in der Abstimmung zu ihrer Vernichtung. Er „geht hervor aus der Geltendmachung der Persönlichkeit und endet mit der Auslöschung der Persönlichkeit.“ (7)  Im Geistes- und im Wirtschaftsleben kann es keine gesetzgebenden Körperschaften geben, die „von oben“ reglementieren, sondern nur horizontale Beratungs- und Kooperationsorgane freier und solidarisch einander zugewandter Bürger.
Nur auf dem Gebiete des Rechts selbst ist der Parlamentarismus berechtigt, denn Fragen des gerechten Verhaltens untereinander, des Schutzes des inneren und äußeren Friedens, können nicht vom Einzelnen, sondern nur durch gemeinsam vereinbarte Regeln aller gelöst werden. Sie sind es, welche die Bildung ei­ner Gemeinschaft als Staat erst nötig machen und ihm konstitutiv zugrunde liegen. Hier ist auch jeder Mündige urteilsfähig. Die Abstimmung führt zwar auch hier zu einem gewissen Nivellement der Persönlichkeit, doch hat sie ihre relative Berechtigung, denn das für alle gleichermaßen geltende Gesetz ist gerade das angestrebte Ziel. Wenn sich die Gesetze darauf beschränken, den rechtlichen Rahmen für die inhaltliche Tätigkeit der Menschen im Kultur- und im Wirtschaftsleben zu bilden, wird durch sie die Freiheit und Selbstbestimmung nicht ausgeschaltet, sondern gerade ermöglicht. Und das Justiz und Polizei verliehene Gewaltmonopol dient nicht der Macht über Menschen, sondern ihrem Schutz vor denen, die in die körperliche oder seelische Integrität anderer gewaltsam eingreifen.
Der demokratische Einheitsstaat als Instrument der Gewalt
Wir sahen: Die Macht hat seit Beginn der Neuzeit, mit dem Erwachen der freien Individualität, ihren geistigen Inhalt verloren. Damit ist prinzipiell jede Herrschaft von Menschen über Menschen innerlich unberechtigt geworden. Sie ist eine Anmaßung, eine Usurpation. Goethe formulierte daher, dass die Regierung die beste sei, die uns lehre, uns selbst zu regieren. Macht ist heute mehr oder weniger offene oder versteckte Gewalt, die den anderen überwältigt, ihm einen fremden Willen aufzwingt und ihn dessen beraubt, was ihn erst zum Menschen macht: der Freiheit seines eigenen Erkennens und Wollens.
Die Geschichte der Neuzeit ist gekennzeichnet durch den Kampf der Kräfte des Egoismus um den Staat als Instrument der Gewalt. Ob absoluter Fürstenstaat, konstitutionelle Monarchie oder demokratische Republik – der Staat wächst als zentralistisches, bürokratisches Riesengebilde, als hierarchischer Befehlsmechanismus, der sich über alle Lebensgebiete legt, immer mehr ins Gigantische, nimmt immer gewaltigere, erdrückendere Ausmaße an. Hand in Hand damit geht „die Atomisierung der Untertanen oder Staatsbürger zu einer homogenen Masse von Individuen, die man (…) von außen her durch abstrakte Gesetze zusammenhält.“ (8)  Der Einheitsstaat wird ein immer perfekteres Instrument in den Händen derjenigen, die an den Schaltstellen sitzen – gleichgültig wie „demokratisch“ sie sich zu legitimieren suchen -, um die Masse der Menschen mit direkter oder indirekter Gewalt nach ihrem Willen zu formen und zu lenken.
Mit der Gewalt, die den Mitmenschen überwältigt, handelt noch nicht der Mensch, sondern das Tier in ihm. Das wird schon im innenpolitischen Kampf um die Macht sichtbar. Der peruanische Nobelpreisträger für Literatur Mario Vargas Llosa, der 1987 als Präsidentschaftskandidat für drei Jahre in die Politik ging, schilderte seine Erfahrungen so:

„Sie können die hehrsten Ideen haben, aber sobald es an deren Verwirklichung geht, sind Sie Intrigen, Verschwörungen, Paranoia, Verrat und Abgründen an Schmutz und Niedertracht ausgesetzt. Wenn ich eins über den Morbus der Politik gelernt habe, dann dies: Der Kampf um die Macht lockt die Bestie in uns hervor. Was den Berufspolitiker wirklich erregt und antreibt, ist das maßlose Verlangen nach Macht. Wer diese Obsession nicht hat, wird der kleinlichen und trivialen Praxis der Politik angeekelt den Rücken zukehren.“ (9)

Die Möglichkeit der Machtausübung zieht die egoistischen Machtnaturen an, und so sorgt der „demokratische“ Einheitsstaat für die Auslese der Schlechtesten. Haben sie die Herrschaft über den Staatsapparat errungen, weitet sich ihr Ego ebenso besitzergreifend wie bei Ludwig XIV. über den Staat aus. Der Staat gehört ihnen. Die Rekrutierungsorganisationen dieses Menschenschlages werden zu „staatstragenden Parteien“, die sich den Staat zur Beute gemacht haben.
Noch offener tritt das Tier auf die Bühne in der Außenpolitik, in der angeblich Völker miteinander in Beziehung treten, in Wahrheit aber kleine Cliquen mit dem Instrument des Einheitsstaates in der Hand gegeneinander um die Erhaltung und Ausdehnung ihrer Macht kämpfen. Mit dem ganzen Arsenal des höheren Tieres, mit Täuschung, Lüge und Drohung, Intrigen, Verschwörungen und Sanktionen, versteckten Terrorunternehmungen und Regierungsumstürzen bis zur primitivsten Form der offenen Gewalt, dem Krieg, wird in der internationalen Machtpolitik unentwegt versucht, die andern zurückzudrängen, zu schwächen und sie schließlich samt ihrer hilflosen Völker mit brutalster Waffengewalt physisch zu überwältigen und dem eigenen Willen zu unterwerfen. Insbesondere das 20. und das begonnene 21. Jahrhundert sind von diesen Kämpfen der menschlichen Bestien gegeneinander gekennzeichnet. Wir leben mitten darin.
Man muss sich endlich klar werden, dass diesem sozialpathologischen Wahnsinn nur Einhalt geboten werden kann, wenn die Allmacht des Staates aufgelöst, er auf das reine Rechtsleben beschränkt wird und das Wirtschafts- und Geistesleben in die horizontal koordinierende Selbstverwaltung der dort tätigen sachkundigen Menschen entlassen werden. Die herrschenden Egomanen können nur entmachtet werden, indem ihnen ihr staatliches Machtinstrument aus der Hand genommen wird (vgl. Die Überwucherung). Sonst wird die Selbstzerstörung der Menschheit weiter fortschreiten.  (hl)
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(1) Sie sind besonders treffend von Rudolf Steiner in drei Vorträgen skizziert worden unter dem Titel  „Die geschichtliche  Entwicklung des Imperialismus“, Vorträge 20.-22. Febr. 1920, im Band 196 der Gesamtausgabe
(2)  Karl Heyer: Machiavelli und Ludwig XIV., Stuttgart 1964, S. 226
(3)  Karl Heyer a. a. O. S. 227
(4)  Vgl. Karl Heyer a. a. O. S. 93, 94
(5)  Karl Heyer a. a. O. S. 95, 96
(6)  Karl Heyer a. a. O. S. 99, 100
(7)  Rudolf Steiner, zitiert nach Karl Heyer a. a. O. S. 218
(8)  Karl Heyer a. a. O. S. 224
(9)  Zitiert nach André F. Lichtschlag in „eigentümlich frei“ Aug./Sept. 2013, S. 40