Statistische Rechenprobleme: Mehr Tests – höherer Inzidenzwert?

Die Corona-Krise begleitet dieses Land seit einem Jahr. Kaum zu fassen, meint mancher, dass sich dieses Land praktisch noch in Grundrechenarten übt. Maßgeblich für die Maßnahmen und die Rahmenbedingungen von Maßnahmen sind und bleiben derzeit die Inzidenz-Zahlen (positiv Getestete innerhalb einer Woche bezogen auf 100.000 Einwohner). Grotesk, welche Schlüsse derzeit gezogen werden. Die Kritik lautet: Wir testen mehr, also steigen auch die Inzidenzzahlen. Die Gegenbehauptung: Das stimmt so nicht.

Check: Mehr Tests – mehr positiv Getestete

Die Sache ist zunächst sehr einfach. Tatsächlich werden menschlichem Ermessen nach höhere Testzahlen dazu führen, dass mehr Menschen positiv getestet werden. Die Absolutzahl steigt. Was heißt das?

Stellen Sie sich eine Stadt mit 10.000 Einwohnern vor. Fix bleibt (über einen kleineren Zeitraum) die Quote der tatsächlich „positiv Getesteten oder zu testenden“ (PCR-Erkennungsprobleme werden nicht betrachtet). Sagen wir, die Quote läge bei 1 %.

Die Stadt teste 5.000 Menschen innerhalb einer Woche, weil sie besonders hohe Kapazitäten habe. Dann würden 50 Menschen entdeckt. Das würde (bezogen auf 100.000 Menschen) einer Inzidenz von 500 entsprechen (50 * 10, da nur 10.000 Einwohner in der Stadt wohnen). Die Nachbarstadt mit 10.000 Einwohnern teste nur 1.000 Menschen. Bei derselben Quote würden 10 Menschen entdeckt. Die Inzidenz würde bei 100 liegen (10* 10 Menschen, um die Zahl auf 100.000 zu beziehen). Dasselbe Verhältnis würde zu vollkommen unterschiedlichen Inzidenzen führen.

Punkt an die Kritiker? Nicht ganz. Denn die Tests werden typischerweise durchgeführt, wenn Symptome vorliegen. Wer mehr testet, sieht offenbar mehr Symptomatische. Also lautet das Argument umgekehrt: Wir testen nicht zufällig mehr, sondern wegen der höheren Infektionsquote. Also sind die dann höheren Inzidenzen aussagekräftig.

Punkt an die Inzidenz-Maßnahmen-Vertreter? Nicht ganz. Denn tatsächlich wird gerade jetzt mehr und mehr auch zufällig getestet. Durch die Verbreitung von Schnelltests werden mehr Menschen zunächst als infiziert gefunden und dann wiederum per PCR-Tests tatsächlich als solche bestätigt oder verworfen. Das wiederum bedeutet, dass die Verbreitung der Schnelltests symptomlose Zufallsfunde deutlich wahrscheinlicher macht. Die grundsätzliche Kritik, dass mehr Tests nicht nur die absolute Zahl an positiv Getesteten erhöht, sondern auch die Inzidenzrate erhöht, ist richtig – der Tendenz nach. Die Inzidenzzahlen werden schon durch die Verbreitung der Schnelltests steigen.

Eine weitere Anmerkung, um das Problem deutlicher werden zu lassen: Würden Großveranstaltungen zugelassen mit vorhergehenden Schnelltests (und folgenden PCR-Tests) bei den Zugelassenen (oder auch kleine Veranstaltungen in Kinos, Theatern oder Opernhäusern), würden schon deshalb auch die Inzidenzraten bei (kurzfristig) gleichem Anteil an tatsächlich Infizierten steigen.

Das sagt zunächst relativ wenig über die tatsächliche Stärke der neue Verbreitungswelle aus – oder? Die richtige Lösung wäre: Es müsste neben den praktischen Tests der Symptomatischen vollkommen zufällig ausgesuchte Testgruppen je Region geben – in immer derselben Größe. Die Zahl wäre korrekt interpretierbar.