Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit

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Die Parole der Französischen Revolution „ Liberté, Égalité, Fraternité “ wurde von den Kindern der Revolution bald verraten, und unversehens war der kleine Offizier Napoleon Bonaparte in Analogie zu George Orwells „Farm der Tiere“ viel gleicher und viel größer als alle anderen Menschen.

Alle drei Ziele, die Freiheit, die Gleichheit und die Brüderlichkeit, wurden immerhin ungeteilte Forderungen der voll bis in die heutige Zeit hineinreichenden Aufklärung. Zur neuen Freiheit des Geistes an Stelle der dumpfen Gläubigkeit des Mittelalters und zur neuen Suche nach der Wahrheit durch große Denker wie Descartes, Leibniz und Kant kam die neue philosophische Ethik, dem Grundpfeiler unseres von Politikern immer wieder beschworenen Wertesystems. Staatslehrer wie Locke, Montesquieu und Jefferson stehen für die Umsetzung dieser Werte in der folgenden überragend wichtigen Phase in der Geschichte der Menschheit. Von daher gingen sie als „Ewigkeitsrechte“ aller Menschen in die modernen Staatsverfassungen ein.

Freiheit hieß zunächst nur die Freiheit der Bürger vom Diktat der Fürsten. Der „Bürger König“, den man in Paris köpfte, war auf einmal dem freien bürgerlichen Kämpfer auf den Barrikaden vor der Bastille gleich. Es zeigte sich, dass er gar nicht von Gott gesandt war. Seine Herrschaft über das Volk hatte keine innere Berechtigung. Untereinander glaubten die Bürger anfänglich auch an die Solidarität (Fraternité) unter den freien Bürgern. Davon war aber bald nichts mehr zu sehen. Nur Freiheit und Gleichheit sind die einander bedingenden Ideale, deren Fahnen seither hochgehalten werden. Brüderlichkeit war zuviel verlangt.

Die Freiheit zu proklamieren und sie jedem Menschen auch zu geben, war nicht selbstverständlich. In der ganzen Geschichte der Menschheit, selbst bei den Erfindern der Demokratie, „den alten Griechen“, hatten die Menschen ihre Sklaven gehalten, meist Gefangene unterworfener Völker. Selbst die geistigen Väter der Französischen Revolution wie Concordet, Diderot, Montesquieu und Rousseau zeigten kein Interesse an der Abschaffung der Sklaverei in den französischen Kolonien. Die amerikanischen Südstaaten kämpften bis zum letzten Blutstropfen für den Erhalt ihres Sklavensystems. Erst 1981 fiel in Mauretanien auch im letzten Land der Erde die gesetzliche Zulässigkeit von Sklavenhaltung und Sklavenverkauf. Erst 1994 fiel die Apartheid in Südafrika, die den übergroßen Teil der Bevölkerung in Unfreiheit, Ungleichheit und Armut gehalten hatte. Die der Sklavenhaltung ähnliche Leibeigenschaft als eine der Pfründen des Adels war in Europa erst im Verlauf des 19. Jahrhunderts abgeschafft worden. Heute endlich ist es zumindest gesetzlich auf der ganzen Welt so, dass es verboten ist, Menschen in Unfreiheit zu halten. Dass dies dennoch geschieht, etwa mit den indischen Arbeitern in Katar, ist eine andere Sache. Besonders die illegale Versklavung und sexuelle Ausbeutung von Frauen findet noch häufig statt, selbst in den sog. zivilisierten Ländern wie der Bundesrepublik Deutschland.

Der Verlust der besonderen Stellung des Adels brachte nicht automatisch die Gleichheit aller Bürger. Im Rheinland wurde auf kommunaler Ebene noch 1845 das Dreiklassenwahlrecht eingeführt. Das Gewicht der Stimme eines Bürgers stieg mit der Höhe seiner steuerlichen Belastung. In Essen bestimmte der Großindustrielle Alfred Krupp daher ganz allein ein Drittel der Mitglieder des Stadtrates. Preußen übernahm 1848 dieses sog. Zensuswahlrecht für die Wahl der Mitglieder des Abgeordnetenhauses, das bis 1918 in Geltung bleib. Seither dokumentiert sich die Gleichheit der Bürger wenigstens bei Wahlen im Spruch „one man, one vote.“ Schritt für Schritt hatten sich im Verlaufe der beiden letzten Jahrhunderte auch die Frauen weltweit das gleiche Wahlrecht wie die Männer erkämpft, nach vielen Anläufen und Volksentscheiden zuletzt auch im Kanton Appenzell Innerrhoden in der Schweiz im Jahre 1990 (!).

Marx und Engels hatten die Grundforderungen der Aufklärung nach Freiheit und Gleichheit ganz anders gewichtet als das Bürgertum. In ihrem angeblich wissenschaftlich gesicherten materialistischen Modell für die Erklärung der Welt rein aus der Ökonomie spielte die Freiheit neben der als selbstverständlich angenommenen Gleichheit aller Menschen nur die Rolle, dass die Menschheit vom Diktat des Kapitals zu befreien war. Nachdem alle praktischen Versuche der Umsetzung des materialistischen Modells gescheitert waren und die Welt nach dem Fall des Eisernen Vorhangs 1990 ganz dem freien Wirken der wirtschaftlichen Kräfte unterworfen wurde, stellen sich jetzt die Fragen nach Freiheit und Gleichheit neu.

Der Spruch Adenauers „Freiheit statt Sozialismus“ geht heute ins Leere. Ebenso treffen die Vorträge des Bundespräsidenten Joachim Gauck über seinen nimmermüden Kampf um die Wahrung der Freiheit auf kein real mehr existierendes Problem. Wenn Gaucks Predigten sich wenigstens dem Problem der Freiheit unseres Landes von weiteren Interventionen der westlichen Siegermächte des II. Weltkrieges widmen würden, wäre wenigstens das Grundthema jeder Freiheit angesprochen, nämlich das der Selbstbestimmtheit. Stattdessen drohte der „Atlantiker“ Gauck soeben indirekt auch dem selbstherrlichen Erdogan damit, von außen freiheitliche Bestrebungen in der Türkei zu unterstützen (wohl wie in Libyen, Ägypten, Syrien und der Ukraine). Mit Freiheit hat das wenig zu tun. Gauck steht allein für die Internationale des Kapitals. Da fühlt er sich so sicher aufgehoben, dass er seine Befugnisse als Bundespräsident so eklatant überschreitet wie keiner seiner Vorgänger. Auch wenn Merkel und Gauck sich persönlich nicht mögen, so sind doch beide unbedingt auf Merkels Wahrspruch eingeschworen: „Die Wirtschaft muss frei sein.“ Also sie und nicht das Volk.

Im Sinne der Aufklärung meint man mit der Freiheit nicht die Fragen der Unabhängigkeit in den internationalen Beziehungen, sondern die persönliche Freiheit jedes Einzelnen in seinem Land. Ebenso meint man mit der Gleichheit nicht die Gleichbehandlung unter den Staaten, den Subjekten des Völkerrechts, etwa im Sinne einer Meistbegünstigungsklausel. Gemeint ist allein die Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz wie z.B. nach dem Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 des Grundgesetzes. Waren die Grundrechte in der Weimarer Verfassung noch bloße Zielvorgaben, sind sie nach dem Grundgesetz in ihrem Kern unantastbare materielle einklagbare Rechte gegenüber der Macht des Staates.

Die Beziehungen unter den Bürgern und generell in der Gesellschaft stehen nicht unter dem Schutz der Grundrechte. Dennoch sieht es so aus, als gäbe es in der Bevölkerung einen allgemeinen Konsens, dass wir Menschen uns auch untereinander als Gleiche behandeln sollten. Von der Politik und den Leitmedien werden uns ja auch seit langem gezielt alle Vorstellungen von Besonderheiten bei Menschen verschiedener Art abtrainiert. Das geht so weit, dass der Nationalstaat für überholt erklärt wird – natürlich nur für die Deutschen und andere Europäer, nicht für die US-Amerikaner, die ja nach eigenem Credo das auserwählte Volk sind (Gods own Country).

De facto ist unser Staat aber keineswegs geprägt durch die Gleichheit aller Menschen im Lande, sondern durch die Existenz zweier politischer Kasten. Da ist einmal das Wahlvolk, das sachlich nichts zu sagen hat. Zum anderen ist da die sich selbst ergänzende Kaste der Politiker, die ohne Rücksicht auf die Meinungen im Volk alles im Lande entscheiden. Zwar müssen die Gewählten erst vom Wahlvolk in ihre Position gebracht werden. Um überhaupt eine Chance zu kriegen, gewählt zu werden, muss jeder Kandidat sich erst mal bei einer der etablierten Parteien hochdienen und sich den Parteioberen unterwerfen. Neue Parteien haben neben den Altparteien CDU/CSU, SPD, FDP, Grünen und den Linken (SED/PDS) fast keine realistische Chance, zum Zuge zu kommen. Die Bürger haben daher nur die Wahl unter den gesiebten Politstrategen der immer gleichen Parteien. Die Macht im Staate hat so allein die Politikerkaste. Sind diese Leute mal wieder gewählt, hält sie nichts mehr, ihr Mandat ganz nach ihrem Gutdünken auszuüben. Ein abweichender Wille des Volkes kann sie nur kurz vor Wahl ein wenig stören, sonst aber nicht. Zusammen mit ihren Kollegen aus den anderen Blöcken sichern sie den Erhalt dieses Systems und damit auch ihren Einfluss auf alle Entscheidungen im Lande. Die Gewählten sind sogar befugt, ihre eigenen „Anstellungsbedingungen“ und ihre Alimentation bis ans Lebensende selbst zu bestimmen. Selbst die Verfassung können sie nach eigenem Gusto ändern ohne das Volk zu fragen. Wenn demnächst Israel Mitglied der EU wird und ganz Europa dann mitten im Pulverfass im Nahen Orient sitzt, geht das das Volk ebenso wenig an wie es nicht gefragt wird, wenn mit den USA ein Freihandelsabkommen geschlossen wird, das uns in Deutschland und Europa zwingt, auf einen Schlag in allen Bereichen der Wirtschaft unsere besseren Qualitätsstandards aufzugeben. Kein stolzer Parlamentarier wird angesichts seiner fabelhaften Befugnisse glauben, dass auch er nur ein einfacher Bürger unseres Landes ist. Er ist doch etwas ganz anderes. Die Bürger und die von ihnen gewählten Politiker sind eben nicht gleich.

Die offenbare Unabänderlichkeit der verfassungsrechtlichen Situation ist der Grund dafür, dass nicht nur unter Politkern die Auffassung vorherrscht, dass die Ungleichheit von Politikern und Bürgern auch gut und richtig sei. Wer hat, dem wird gegeben. Das gilt besonders für die politische Macht.

Fragen Sie einmal bei den Abgeordneten des Bundestages herum, wer für die Ausweitung von Volksentscheiden ist oder gar für die Notwendigkeit, dass das Volk sich nach den Umstürzen durch die beiden Weltkriege und der Konsolidierung auf ein stark verkleinertes Staatsgebiet endlich eine neue Verfassung gibt! Von wenigen Ausnahmen abgesehen stimmen sie mit Wolfgang Bosbach von der CDU überein, der es dem Volk einfach nicht zutraut, solche Macht sachgerecht auszuüben. Ähnlich steht es um die Medien, die fast geschlossen darauf ausgerichtet sind, dem Volk solche Flausen auszutreiben.

Angesichts der erkennbaren Fruchtlosigkeit aller bisherigen Bemühungen um mehr Demokratie und der massiven Gegenpropaganda ist es nicht verwunderlich, dass die Meinung, ob das Volk die maßgebende politische Entscheidungsgewalt erhalten und damit die Macht des Politikerkartells brechen sollte, in der Bevölkerung stark geteilt ist.

Kaum ein Bürger zweifelt daran, dass er persönlich in allen politischen Fragen eine diskutable Meinung hat. In der Beurteilung der Politikfähigkeit aller Volksgenossen sieht er das aber ganz anders. Seinem Nachbarn traut der Bundesbürger nichts Gutes zu, ihm will er nicht gleich sein. Es ist für ihn schon schlimm genug, dass bei den turnusgemäßen Wahlspektakeln die Stimme jedes einzelnen registrierten Staatsbürgers gleich viel Gewicht hat. Immer wieder muckt mal ein materiell und angeblich auch geistig besser Bemittelter auf und erklärt, dass Empfänger von Transferleistungen ein vermindertes Wahlrecht haben müssten. Dabei geht es beim Recht des Wählens wahrhaftig um Nichts, weil die Politik des Landes dadurch nicht wirklich geändert wird. Extrem deutlich zeigt sich das in den Koalitionen der etablierten Parteien, seit Angela Merkel das Abonnement auf den Kanzlersitz zugefallen ist.

Die heutige Situation in Deutschland ist in diesem Punkte nicht anders als in der DDR, bei der der Wähler auch keinen Einfluss auf die Aufstellung der Kandidaten hatte, unter denen er wählen konnte. Ob einer die SED wählte oder die auf Linie gestellten Blockparteien CDU oder FDP (LPD), war doch Jacke wie Hose. Daher auch konnte die West-CDU ihre „Brüder und Schwestern“ aus der Ost-CDU so einfach schlucken. SED/PDS und SPD waren da zu ihrem eigenen Schaden viel pingeliger.

Allein die Vorstellung, dass all die „einfachen“ Menschen auf der Straße mit entscheiden dürften, ob und wie Deutschland sich in Europa integriert, ob und welche Vorgaben der Wirtschaft von staatlicher Seite gemacht werden, damit die Entwicklung der Gesellschaft nicht allein durch deren Gewinninteressen bestimmt wird, lässt viele brave Bürger erschrecken. Sie denken, dass zwei Dumme zusammendoch nicht klüger sein könnten als jeder einzelne von ihnen. Genauso ist es aber, was schon jeder Fernsehbürger aus den „Publikumsfragen“ in Gunter Jauchs „Millionärs-Quiz“ kennt. Wo Einzelne sich unsicher sind, weiß die Gemeinschaft regelmäßig die richtige Antwort. Auch die praktische Psychologie steuert wichtige Erkenntnisse bei. Die Gruppentherapie ist für viele Experten sogar die einzige wirklich wirksame Psychotherapie. Die Gruppe entwickelt aus dem Erlebnis der Gleichheit ihrer Glieder heraus tatsächlich eine besondere Kraft zur Lösung von Problemen. Erst in der Gruppe lernen viele Suchtkranke, sich von ihrem Leiden zu befreien.

Diese besonderen Funktionen der Vielen, die das Volk ausmachen, sind die Erklärung für die Richtigkeit des Ethos der bürgerlichen Revolution, von Freiheit, Gleichheit und insbesondere der Brüderlichkeit. Die Fraternité verlangt nicht, dass jeder seinen Nächsten lieben solle wie sich selbst (obwohl das kein schlechter Gedanke ist). Es reicht schon der Respekt vor dem Mitmenschen, der wie alle Menschen eine großartige denkende und fühlende personale Einheit ist. Jeder Mensch kann dahin geführt werden, kompetent in allen wichtigen politischen Fragen mitzuhalten. Es ist billig, mit dem Finger auf die in der Gesellschaft zu zeigen, deren Entwicklung von der Gesellschaft vernachlässigt wurde. Den angeblich superioren Hagestolzen, die meinen, aus besonderem Holz geschnitzt zu sein und beanspruchen, mehr zu sagen zu haben als die Masse der Menschen, kann ich nur vorschlagen, einmal wie damals Martin Luther unter die Menschen zu gehen und ihnen aufs Maul zu schauen. Sie werden sehen, dass es das angeblich dumme Volk gar nicht gibt.

Solange das Volk sich nicht einig ist, dass es seine historische Rolle des wahren Souveräns im Staate antritt, herrschen nach der Tausende von Jahren geltenden Feudalherrschaft nur andere, neue Herren wie die vom Volk abgehobene Politikerkaste, diktatorische Faschisten oder gleich fremde wirtschaftliche und politische Mächte, die sich die Funktionsträger im Staat zu Diensten machen. Beim Volk selbst haben sie es nicht so leicht!

Es ist ein Jammer, dass wir als Volk nicht weiter sind. Es ist ja nur ein kurzer Schritt, der zu gehen ist, um das deutsche Volk die neue Staatsverfassung bestimmen zu lassen, auf die das Grundgesetz nach der Wiedervereinigung nur wartet. Damit kann auf einen Schlag die Ungleichheit der Politiker mit dem Volk und ihre fehlende Solidarität und Loyalität gegenüber dem Volk endgültig beendigt werden.

Derzeit steht unsere Welt auf dem Kopf. Politik und Volk verhalten sich in unserer repräsentativen Demokratie so zueinander, dass der Schwanz mit dem Hund wedelt. Die Treunehmer im Bundestag schreiben ihren Leistungsvertrag mit dem Staat einfach um, sodass sie während und nach ihrem Dienst auch jedem Dritten dienen können. Es ist so wie wenn der Arbeitnehmer allein bestimmt, was in seiner Firma produziert und gehandelt wird und was er für seine Leistung an Lohn erhält.

In dieser völlig verrückten Ordnung konnte es nur so enden, dass die Politiker am Ende den Interessen mächtiger Auftraggeber aus der globalen Wirtschaft dienen. So schmiss sich Merkel schon vor ihrer ersten Installation Bush Junior an den Hals oder kroch ihm sonstwo hinein. So lässt sich Schröder von Putin umarmen.

Für ihre Wirtschafts- und Machtinteressen ziehen fremde Mächte uns in Kriege gegen andere Länder hinein wie es früher nur die Könige mit ihren Untertanen tun konnten. Das angeblich so dumme deutsche Volk hätte keinen der Kriege der letzten beiden Jahrhunderte geführt. Es wäre von sich aus nie der Erzfeind Frankreichs geworden, hätte Polen und die Sowjetunion nicht überfallen, und hätte keinen einzigen Juden, Sinti oder Roma, Schwulen oder Kommunisten getötet. Dazu braucht es immer die „besonderen“ Menschen in der Politik, die uns Menschen des Volkes die Freiheit nicht gönnen, die uns aber auch nicht gleich und uns auch nicht brüderlich verbunden sind.